FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2008

 

Amtsgericht Wismar: Pflegeeltern haben
bei Rücknahme des Antrages auf Hilfe zur Erziehung
weiterhin Anspruch auf Pflegegeldzahlungen,
wenn die Pflegekinder in der Pflegefamilie leben (3 F 324/05)

 

Zum Sachverhalt:
Das im Herbst 2003 geborene Kind Max wurde im Sommer 2004 zu den Pflegeeltern B. gegeben. Aufgrund einer Mangelversorgung durch Vernachlässigung musste Max im Alter von sieben Monaten für die Dauer von drei
Wochen stationär im Krankenhaus behandelt werden. Die Mutter wurde vom Jugendamt beraten und ihr wurde empfohlen, Max im Anschluss nach der Krankenhausbehandlung in eine Pflegefamilie zu geben. Mit Zustimmung der Mutter wurde eine zunächst befristete Pflegschaft bis zum Jahresende angelegt.

Zum Jahresende 2004 erklärte die Mutter den Wunsch, Max wieder in ihrem Haushalt aufnehmen zu wollen. Das Jugendamt erklärte dazu, dass dem Wunsch der Mutter gefolgt werden müsse, weil diese sorgeberechtigt sei und forderte die Pflegeeltern zur Herausgabe des Kindes auf. Diese sahen aber das Kindeswohl durch die Herausgabe gefährdet und stellten beim Amtsgericht am Wohnort einen Antrag auf Verbleib nach
§ 1632 Abs. 4 BGB, dem zunächst im Wege einer einstweiligen Anordnung entsprochen wurde. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde der Antrag auch in der Hauptsache bestätigt.

Das Jugendamt stellte aber die bis dahin geleisteten Pflegegeldzahlungen zur Sicherung des Kindesunterhaltes für fast zwei Jahre ein, mit der Begründung, dass die öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen, Hilfen zur Erziehung erbringen zu dürfen, mit dem Wegfall des Antrages der Mutter fehlten. Die Pflegeeltern klagten daraufhin gegen die Behörde beim Amtsgericht in Wismar auf die Zahlung von Pflegegeld mit dem Argument, dass ein ungekündigter zivilrechtlicher Vertrag zwischen der Stadt und den Pflegeeltern zustande gekommen sei, der auch weiterhin erfüllt werden müsse. Sie bezweifeln mittlerweile sogar, dass es zu einer Rücknahme des Antrages auf Hilfe zur Erziehung kam.

Im Oktober 2007 erging folgendes Urteil:

    1. 1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger für die Zeit von August 2005 bis November 2006 für Max monatlich ...... Euro zu zahlen sowie für die Zeit vom
      01. bis 05. Dezember 2006 ...... Euro [in Höhe des Pflegegeldes].
      2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger einen rückständigen Betrag von ...... Euro zu zahlen [Pflegegeld von Ende Januar 2005 bis Juli 2005].
    2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
    3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von ...... Euro vorläufig vollstreckbar [gerundete Höhe der Hauptschuld].

Die laufenden Leistungen hatte das Jugendamt im Dezember 2006 auf Antrag der Mutter nach einem Gespräch mit dem Richter wieder aufgenommen. Das Urteil ist rechtskräftig.

Aus der Urteilsbegründung:
»Den Pflegeeltern stehen die Zahlungen aus dem Vertrag zu. Die Frage, ob Verträge entsprechenden Gegenstandes grundsätzlich öffentlich-rechtlicher Natur und damit die Parteien auf den Verwaltungsrechtsweg zu verweisen sind, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn nach dem Gesamtbild der Vertragsgestaltung hat die Beklagte privatrechtlich gehandelt...

In dem Vertrag fehlt jedwede Bezugnahme auf öffentlich-rechtliche Bestimmungen, abgesehen von der Berechnung der Höhe der für die Kläger vereinbarten Vergütung. Insbesondere sind die ausdrücklich geregelten Beendigungsgründe ihrer Gestaltung nach eigenständig und von den Regelungen der §§ 27 ff. SGB VIII losgelöst. Dementsprechend muss der Vertrag – in seiner konkreten Ausgestaltung – als privatrechtlich bewertet werden mit der Folge, dass Streitigkeiten aus ihm der Zivilgerichtsbarkeit zugewiesen sind und dort wegen der Sachnähe zum Unterhaltsrecht dem Familiengericht.

Der Vertrag ist nicht wirksam beendet worden. In Betracht gezogen werden kann dabei von den ausdrücklichen Regelungen lediglich die Bestimmung, dass das Vertragsverhältnis ende, wenn das Kind aus der Pflegefamilie herausgenommen werden muss. Diese Frage ist indes vom Amtsgericht R. durch die Verbleibensanordnung entschieden worden und keine der Parteien hat dies vorliegend noch in Zweifel gestellt. Unabhängig davon ist die vorgesehene schriftliche Kündigung erst mit dem Schreiben vom 25.01.2005 erfolgt, da dieses Schreiben entsprechend ausgelegt werden kann und muss. Im Übrigen ist ein Wegfall der Geschäftsgrundlage in Betracht zu ziehen. Das Gericht geht davon aus, dass es der Beklagten verwehrt ist, Hilfen zur Erziehung ohne oder gar gegen den Willen des Erziehungsberechtigten zu leisten. Fällt deren Wille weg, sind Leistungen grundsätzlich einzustellen. Dass dem so war, kann dem Schreiben der Beklagten vom 25.01.2005 entnommen werden. Und dass die öffentlich-rechtlichen Bestimmungen von der Beklagten zu beachten waren, muss beiden Parteien bei Vertragsabschluss vor Augen gestanden haben. Hierbei bewendet es jedoch nicht. Der Wegfall einer Geschäftsgrundlage ist dann unbeachtlich, wenn sie in den Risikobereich allein einer Partei fällt. Entsprechend verhält es sich vorliegend. Dass die Weiterzahlung von Pflegegeld auf der vertraglichen Grundlage (zumindest auch) im Interesse des Kindes lag, liegt auf der Hand. Dementsprechend war die Beklagte gehalten, die Kindesmutter insoweit zu beraten und ihr eine Antragstellung bis zur Klärung der Frage der Verbleibensanordnung nahe zu legen. Ob und in welcher Weise und in welchem Umfang dies geschehen ist, ist von der hierfür darlegungsbelasteten Beklagten nicht dargetan, so dass auch das Ergebnis derartiger Bemühungen nicht abgeschätzt werden kann. Dass die Kindesmutter ob des Verfahrens betreffend die Verbleibensanordnung keine Zahlungen an die Kläger mehr wollte, kann bedenkenlos unterstellt werden, dass sie die Zusammenhänge ohne weiteres überschaute und sachgerecht im Hinblick auf die Belange ihrer Kinder, an denen sie offenbar interessiert war, zu ordnen in der Lage war, dagegen nicht; ein Sinneswandel bzw. eine erneute Antragstellung bei ihr im Falle intensiver Beratung kann daher nicht ausgeschlossen werden. Dies muss sich zu Lasten der insoweit darlegungsbelasteten Beklagten auswirken. Den Klägern stehen damit die beantragten Zahlungen zu, die der Höhe nach von der Beklagten nicht in Zweifel gestellt worden sind.«

Kommentar:
Ähnlich wie bereits zuvor im Verwaltungsverfahren (s.
Verbleibensanordnung zu Gunsten eines Pflegekindes und Einstellung der Pflegegeldzahlungen durch das Jugendamt) das Bundesverwaltungsgericht feststellte, dass die Grundsätze über die Geschäftsführung ohne Auftrag auch im öffentlichen Recht anzuwenden sind, und das OVG Bautzen das Jugendamt in einer vergleichbaren Konstellation zur Weiterzahlung von Pflegegeld verpflichtet hatte, muss auch hier davon ausgegangen werden, dass die Antragsrücknahme der Mutter rechtsmissbräuchlich war und das Jugendamt dies hätte wissen müssen. Der Einstellung von Pflegegeldzahlungen durch Jugendämter in Folge eines Antrages nach § 1632 Abs. 4 BGB ist mit diesem Urteil ein weiterer wirksamer Riegel vorgeschoben.

Es kann nicht sein, dass einerseits Pflegeeltern geworben werden und dann zum Nachteil der Kinder derart bürokratischen Schikanen ausgesetzt werden. In diesem Verfahren wurde vielfach deutlich, wie das Jugendamt offensichtlich Verwaltungsinteressen über die existenziellen Bedürfnisse des Kindes stellte und damit seine Wächterpflicht verletzte und seine Garantenstellung nicht einlöste (dazu soll hier in Kürze ein Erfahrungsbericht veröffentlicht werden). Kommt das Jugendamt seiner Verpflichtung, das Pflegegeld zu sichern, nicht nach, kann ein eigenständiger Anspruch der Pflegeeltern gegen das Jugendamt entstehen. Und dies sowohl zivilrechtlich als auch verwaltungsrechtlich. Aus fiskalischen Gesichtspunkten sind hier unnötig beträchtliche Kosten produziert worden, für die letztendlich der sowieso schon gebeutelte Steuerzahler aufkommen muss.

Christoph Malter, Januar 2008     

 

s.a. Diskussionsbeiträge dazu im Pflegeelternnetz.de unter:
http://www.pflegeelternnetz.de/thread.php?threadid=823&sid

 

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