FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2004

 

Zukunft der Pflegefamilie

 

Von Prof. August Huber, Pflegeelternschule Baden-Württemberg

 

Vorbemerkung: Da der Anteil der psychoneurotischen Entwicklungsstörungen unter den Pflegekindern immer mehr zugenommen und die neuropsychologische Traumaforschung nachgewiesen hat, daß vernachlässigte und mißhandelte Kinder i.d.R. tiefgreifende hirnorganische Schädigungen erlitten haben, hat die Pädagogik, jedenfalls die akademische und lerntheoretisch orientierte, ihre frühere Bedeutung im Pflegekinderwesen fast gänzlich eingebüßt. Der in der Aus- und Fortbildung von Pflegeeltern sehr erfahrene August Huber reagiert darauf mit dem Konzept einer eigenständigen Pflegekinderpädagogik, in dem dauerhafte liebevolle Bindungsangebote eine zentrale Rolle einnehmen. Insbesondere seine Anforderungen an die Erzieherpersönlichkeit der Pflegeeltern entsprechen ganz unseren Erfahrungen.

K. E. (Juli 2004)

 

Hat die Erziehung in der Pflegefamilie eine Zukunft?

Fachleute wie z.B. Jürgen Blandow weisen auf die zunehmenden Persönlichkeitsstörungen der Jugendhilfekinder hin, die letztlich nur noch professionelles erziehen als geboten erscheinen lassen (in Paten 3/03). Das Kinder- und Jugendhilfegesetz will jedoch die Beheimatung von Kindern und Jugendlichen, wenn nicht in der eigenen Familie, dann in einer Adoptivfamilie, Pflegefamilie oder in einer anderen auf längere Zeit angelegten Lebensform (siehe § 34, § 36 und § 37 SGB VIII). Dahinter steht die psychologische Erkenntnis, dass Kinder grundsätzlich ein dauerhaftes Beziehungsgefüge brauchen, um sich dem Anspruch des Grundgesetzes gemäß entwickeln zu können. Professionelle Erziehung kann zwar Fachlichkeit, aber nach wie vor keine Dauerhaftigkeit garantieren.

Wie soll nun Beheimatung in Pflegefamilien gelingen, wenn die Kinder mit enormen Beziehungsstörungen in die Pflegefamilien kommen?

Dass Pflegefamilien fachliche Beratung und Unterstützung in ihrer Erziehungsarbeit benötigen, wird in Fachkreisen zunehmend erkannt und mehr und mehr in die Praxis umgesetzt. Allerdings herrscht große Unsicherheit darüber, wie das Besondere einer Pflegekinderpädagogik sich darstellt und in Praxis umgesetzt werden soll.

Das Urvertrauen in das Leben der oft traumatisierten Kinder ist erschüttert. Sie haben in der frühen Kindheit existenzielle Not erfahren durch körperliche und seelische Schädigungen, Mangelversorgung oder/und emotionale Vernachlässigung (häufige Beziehungsabbrüche). Dadurch waren sie gezwungen, um ihr Überleben zu kämpfen. Sie entwickeln aggressive oder resignative Überlebensstrategien. Auf tragfähige Beziehungen können sie sich nur schwer einlassen. Was Birgit Steimer im Titel eines Buches „Die Sehnsucht nach Liebe und die Inszenierung der Ablehnung“ nennt, ist eine treffende Beschreibung der Widerspruchssituation dieser Kinder. Das Herausführen aus ihrer verzweifelten Lage stellt eine enorm hohe Anforderung an die Pflegeeltern dar. Dies kann aber nur gelingen, wenn Dauerhaftigkeit der Beziehung, also Bindung garantiert ist, was wiederum rein professionelle Erziehung ausschließt.

Daraus leitet sich die Notwendigkeit einer eigenständigen Pflegekinderpädagogik ab. Sie bezieht sich auf die Grundsituation der Pflegekinder und zugleich auf die Stärkung der erzieherischen Persönlichkeit der Pflegeeltern.

Die Kinder benötigen Hilfen, um den langen beschwerlichen Weg ins Leben zu gehen, das Vertrauen in die Welt und in die Menschen zu entwickeln, sie benötigen den Mut, Neues zu wagen und das Leben zu bejahen, letztlich die Welt mit Lebensfreude anzunehmen. Für Pflegeeltern bedeutet es, die Widersprüchlichkeit des Kindes mit Gelassenheit auszuhalten, das Kind schrittweise in die Bejahung des Lebens zu führen und es zu ermutigen, das Leben zu wagen.

So geht es um das notwendige Wissen für den pädagogischen Alltag und zugleich um die Stärkung der Persönlichkeit der erziehenden Pflegeeltern.

Die Pflegekinderpädagogik beinhaltet:

  • Sicherheit zu geben durch klare Führung im Alltagsrhythmus
  • in Übergangssituationen mit helfenden Ritualen Schutz zu geben
  • Erlebnisräume für positive Lebenserfahrung (Natur) zu erschließen
  • Unterstützung und Anregung zu geben, damit die Kinder die Lebendigkeit des Körpers positiv erfahren können
  • Gemeinschaftserfahrungen im Rahmen von Höhepunkterlebnissen (Familienfeste), um Geborgenheit und Lebensfreude zu vermitteln
  • Kontakte mit der Herkunftsfamilie auf positive Weise zu gestalten
  • mit unterstützenden Hilfesystemen partnerschaftlich zusammenarbeiten
  • Netzwerke der Selbsthilfe von Pflegeeltern zu nutzen

Zur Entwicklung der Erzieherpersönlichkeit gehört:

  • Kinder in ihrer Widersprüchlichkeit verstehen zu lernen
  • Die Liebe zu den Kindern dauerhaft zu pflegen und zu lernen
  • Die eigenen Kraftquellen zum Erhalt der eigenen Lebensfreude dauerhaft zu nutzen
  • Die Stärkung und das Wissen in der Selbsthilfegruppe zu nutzen
  • Der Herkunftsfamilie trotz allem einen guten Platz in der Familie zu geben, sie zu würdigen und auch das Kind zu schützen
  • Die Verantwortung für das Kind in Behörden und vor Gericht wahrzunehmen

Wenn es gelingt, das Wissen um die notwendige Alltagspädagogik mit den Entwicklungschancen der Pflegeelternpersönlichkeiten zu verknüpfen, können die Kinder wie die Pflegeeltern dauerhaft voneinander gewinnen. Beide Gruppen kommen dann in den gegenseitigen Ausgleich.

 

 

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