FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2001

 

ALLES AUS LIEBE
Von Frauen, die ihr Kind weggeben

Film von Tina Radke-Gerlach (Juni 01)

 

Vorbemerkung: Am 26. Juni, 23.15 h wurde im ZDF der Film “ALLES AUS LIEBE - Von Frauen, die ihr Kind weggeben” gesendet. Die VHS-Kasette kostet 30.- DM und kann bei Tina Radke-Gerlach (FiViPro@aol.com) bestellt werden.
Sollten Leserinnen und Leser Interesse an einer weiteren Diskussion haben, senden Sie uns bitte entsprechende Beiträge per
E-Mail.
C.M. (Jul. 01)


ZUM FILM

Eine Frau, die ihr Kind zur Adoption freigibt, ist der gesellschaftlichen Ächtung preisgegeben. Was für ein Monster muss diese Mutter doch sein, wenn sie ihr Kind nicht so liebt, dass sie es behalten will! Eine Rabenmutter!

Filmemacherin Tina Radke-Gerlach, selbst Adoptivmutter, stellt drei Frauen in den Mittelpunkt und läßt sie erzählen. Frauen, die den Mut finden, sich aus der Sprachlosigkeit zu befreien und Abwertungen entgegen zu treten. Die offen über Hintergründe und Motive, die zur Adoptionsfreigabe führten vor der Kamera erzählen. Die teilweise erschütternde Einblicke in ihre Biographie gewähren. Wie erleben und verarbeiten sie ihre Entscheidung? Welchen psychischen Belastungen sind sie in der Folgezeit ausgesetzt? Wie gehen sie mit ihren Minderwertigkeits- und Schuldgefühlen um, mit Hilflosigkeit und Einsamkeit? Ein Film, der vom Zuschauer Akzeptanz jenseits der Sensationslust verlangt. Bewußt wird auf Kommentar verzichtet.

DIE PROTAGONISTINNEN

„Es ist wie ein Todesurteil" sagt Barbara, die ihre Tochter zur Adoption gab, als diese zwei Jahre alt war. Eine Mutter, die gegangen und aus der aufopfernden Rolle ausgebrochen ist, die ihr unsere Kultur vorschreibt. 34 Jahre ist es her. Nun hat sie ihrer Tochter Ellen ein Buch geschrieben. Es ist ein Hilferuf, in der Hoffnung, sie wiederzusehen. Barbara ist nie über ihre damalige Entscheidung hinweggekommen.

Gela, die bereits zwei Kinder hatte, als sie mit Zwillingen schwanger wurde, ist heute ein glücklicher Mensch. Damals, als sie die Zwillinge kurz nach der Geburt in die Arme der Adoptiveltern legte, ging es ihr so schlecht, dass die Mutterrolle undenkbar für sie war. Zu sehr litt sie unter psychosomatischen Symptomen, die mit Missbrauchserfahrungen in der eigenen Kindheit zu tun hatten.

Und Sabina war erst 15, als sie ihren Sohn Mario zur Adoption gab. Der Druck des Elternhauses und der Schwestern im Mutter-Kind-Heim, in dem sie damals lebte, liessen ihr keine andere Wahl. Gegen ihren Willen kam es zur Adoption. Heute wünscht sie sich nichts sehnlicher, als ihren Sohn kennenzulernen, der mittlerweile 18 Jahre alt ist.

Durch die Biographien der Mütter zieht sich als roter Faden eine Kette von Drohungen, Verletzungen und Gewalt in der eigenen Kindheit Es wird deutlich, daß ihnen nur die Adoptionsfreigabe blieb, um einer unerträglichen Lebenssituation und tiefen Hoffnungslosigkeit zu entfliehen.

HINTERGRUNDINFOS

Es wird deutlich, dass die Realität anders aussieht, als das gängige Klischee vermuten lässt. Frauen, die ihre Kinder zur Adoption geben sind keine Monster, die völlig emotionslos ihr Kind zu anderen Eltern geben. Es sind Frauen, die aus unterschiedlichsten Gründen mit der Mutterrolle überfordert waren. Die hoffen, dass es ihr Kind bei anderen Eltern besser haben wird. Die diesen Schritt aus Liebe und Verantwortungsgefühl gegangen sind. Der Preis, den sie für ihre Entscheidung bezahlen ist hoch. Nach einer kurzen Phase der Erleichterung folgen Schuldgefühle, Sorgen und Selbstzweifel. Und immer die Frage: Wie denkt mein Kind darüber, dass ich es zu fremden Menschen gegeben habe? Den leiblichen Müttern ist nach der abgeschlossenen Adoption vom Gesetz jede Kontaktaufnahme mit ihrem Kind untersagt. Sie kennen in der Regel weder Wohnort noch Namen der Adoptiveltern und warten oft jahrzehntelang darauf, dass ihr Kind sich bei ihnen meldet. Denn erwachsene Adoptivkinder können, wenn sie es möchten, Informationen über ihre Herkunft einholen. Das Warten, ob das Kind sie suchen wird, ob man je die Gelegenheit hat zu erklären, färbt das ganze Leben. Viele der abgebenden Mütter sehen ihr Kind nie wieder.

ANMERKUNGEN DER AUTORIN

Die Filmidee
Ich wußte, es werden schwierige Recherchen werden. Aber das sie sich über so viele Monate hinziehen, ahnte ich nicht. Warum sollten sich Mütter, die ihre Kinder zur Adoption gegeben haben vor die Kamera stellen. Schließlich werden sie mit stengstem Tadel belegt. Rabenmutter. Sie leben oft wie Ausgestoßene, alleine, ohne Mut, dieses Tabuthema anzusprechen. Und trotzdem wollte ich mich unbedingt dieser Aufgabe stellen. Ich bin selbst Adoptivmutter. Mein Mann und ich haben ein Mädchen aus Nepal adoptiert. Heute ist Lena zwei Jahre alt. Als wir sie mit nach Deutschland nahmen war sie 4 Monate. Ihre leibliche Mutter ist unbekannt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis Lena nach ihr fragt. 'Mama, wie war meine Mutter? Warum hat sie mich weggegeben? Habe ich Geschwister?' Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Bücherberge habe ich gewälzt, um mir darüber klar zu werden, welche Reaktionen nun "pädagogisch sinnvoll" sind. Irgendwann wurde mir klar, dass sich Geschriebenes nur schwer mit Überzeugung vermitteln lässt, schon gar nicht, wenn es um die Suche von Adoptivkindern nach den eigenen Wurzeln geht. 'Sie hat Dich geliebt, deshalb hat sie neue Eltern für Dich gesucht, bei denen es Dir besser geht', heißt es da immer wieder. 'Sie hat Dich aus Liebe weggegeben'. Das wollte ich gerne glauben. Es ist eine so wichtige Information für die Entwicklung des Selbstwertgefühls eines Adoptivkindes. Spätestens in der Pubertät fühlen sie sich oft achtlos weggeworfen. Mir wurde klar, dass ich Frauen kennenlernen möchte, die ihre Kinder zur Adoption gegeben haben. Mit ihnen reden, ihre Hintergründe und Motive für die Adoptionsfreigabe verstehen. So ist die Idee zum Film auch aus ganz persönlichen Beweggründen entstanden.

Die Recherchen
Jugendämter, Selbsthilfegruppen, Internet. Monatelang habe ich so versucht, persönlichen Kontakt zu Herkunftsmüttern herzustellen. Schnell wurde die große Angst der Mütter spürbar. Da will eine Journalistin eine so intime Geschichte öffentlich verbreiten.... Viele waren schon "Talkshow-geschädigt", hatten die Nase voll von Zweiminuten-Statements, die bei einem solchen Thema nur zu Missverständnissen führen können. Andere fühlten sich mit der Aufarbeitung ihrer Biographie nicht weit genug, um darüber zu reden. Wieder andere konnten sich nicht vorstellen, nach der Ausstrahlung des Films plötzlich vom Nachbarn auf ihre Geschichte angesprochen zu werden. Doch irgendwann gelang es mir Vertrauen herzustellen. Nicht zuletzt deshalb, weil ich durch unser Adoptivkind persönlich betroffen bin. Hunderte von Telefonaten, Recherchenreisen quer durch Deutschland. Schließlich waren acht Frauen bereit sich mit mir zu treffen. Wir hatten sehr lange, sehr bewegende Gespräche. Fünf von ihnen konnten sich vorstellen, vor der Kamera zu erzählen. Drei habe ich dann für den Film ausgewählt.

Der fertige Film
Nach diesen Begegnungen wurden mir die Hintergründe und Motive, die zur Adoptionsfreigabe führen klarer. Durch die Arbeit am Film, die Gespräche und die Offenheit, die mir entgegengebracht wurde, empfinde ich eine ehrliche Dankbarkeit. Nicht nur gegenüber meinen Gesprächspartnerinnen, die in oft erschütternder Weise von ihren schmerzlichen Erfahrungen erzählten. Auch gegenüber der leiblichen Mutter meiner Tochter, die uns Adoptiveltern ein so wunderbares Geschenk gemacht hat. Erst jetzt kann ich meiner Tochter mit ehrlicher emotionaler Überzeugung vermitteln, dass ihre Mutter sie aus Liebe und Verantwortung anderen Eltern anvertraut hat.

So ist mit 'Alles aus Liebe' auch ein sehr persönlicher Film entstanden, der sich gegen Ausgrenzung und Abwertung von Herkunftsmüttern einsetzt, der versucht, sie besser zu verstehen und ihre Entscheidung zu achten. Und der für mich als Filmemacherin eine große persönliche Bereicherung darstellt.

 

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