FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Erfahrungsbericht / Jahrgang 2005

 

Pflegeeltern im Kampf für ihr Pflegekind –
emotionale und wirtschaftliche Folgen

von Michael & Gerlinde Bogisch
Heilpädagogische Pflegeeltern in Berlin

 

Im Mai 2001 wurde  uns Pflegeeltern durch den Landesverband Behinderte Pflegekinder ein damals fünfmonatiges Mädchen avisiert, für das heilpädagogische Pflegeeltern gesucht wurden, da die leibliche Mutter sich nicht auf ihr behindertes Kind einlassen konnte: Das kleine, sehr zarte Mädchen war nach seiner Geburt gut vier Monate im Krankenhaus verblieben und danach in einem Diakonissenheim untergebracht worden. Von dort wurde es schon nach drei Wochen wegen rezidivierenden Erbrechens, Schreiattacken und chronischer Gedeihstörung wieder in ein Krankenhaus eingeliefert.

Das Kind ist damals wegen seiner schweren Behinderung (perinatale Asphyxie infolge Plazentaabriß) vom Jugendamt als „nicht familienfähig“ eingestuft worden; es wurde wohl gar nicht erst nach einer Pflegefamilie gesucht.

Während dieses ersten Krankenhausaufenthaltes wurde bereits eine sehr schmerzhafte Speiseröhrenentzündung diagnostiziert und der Mutter geraten, eine spätere Operation zu erwägen (Magensonde), um die Ernährbarkeit des Kindes zu gewährleisten. Da die Mutter sich dazu nicht entschließen konnte, wollte das Heim dieses Kind so nicht wieder aufnehmen, im Krankenhaus konnte es aber auch nicht bleiben. Auf Wunsch der alleinsorgeberechtigten Mutter kam die Kleine in ein Kinderkrankenhaus - zur weiteren Diagnostik: Die Mutter wollte mit den Ergebnissen die Geburtsklinik auf Schmerzensgeld für sich und das Kind verklagen. Über den Sozialdienst des Krankenhauses wurde der Mutter mitgeteilt, dass es eine Pflegefamilie gäbe (wir), die bereit sei, ihr Kind in Dauerpflege zu nehmen.

Wir wurden zu diesem Zeitpunkt noch sehr langatmig überprüft, ob wir ein drittes Pflegekind aufnehmen dürften. Da der Klinikaufenthalt so lange nicht ausgedehnt werden konnte, wurde vom Jugendamt der Mutter eine Kurzpflegestelle gewonnen.

Da erst begann sich die Kindesmutter mit der Inpflegegabe in eine Familie auseinander zusetzten. Offenbar hatte das Jugendamt bis dahin nicht mit ihr in diese Richtung gearbeitet. Dann ging ihr alles viel zu schnell: Erst gab es gar keine Familie, dann gleich zwei. Am liebsten wäre ihr ein noch längerer Klinikaufenthalt gewesen. Aber Ende August 2001 kam das Kind zum ersten Mal in eine Familie – zur Kurzpflege. Folgerichtig reagierte es darauf erstmal mit Nahrungsverweigerung, Erbrechen, Krankwerden. Nach wenigen Tagen schon musste die Kleine wieder in die Klinik: akuter Infekt und nicht beherrschbare Schreiattacken. Wieder zurück in der Kurzpflegefamilie kam es zum ersten Kontakt zwischen uns und dem Kind. Im Dezember 2001, kurz vor ihrem ersten Geburtstag konnten wir dann das kleine Mädchen endlich bei uns aufnehmen. War der Mutter anfangs alles zu schnell gegangen, hatte sie dann jedoch gedrängt, das Kind aus der Kurzpflege zu uns zu bringen; die Kurzpflegefamilie gefiel ihr nicht.

Zu Beginn des Pflegeverhältnisses hatten wir eine gute Zusammenarbeit. An jedem dritten Samstag war Umgang vereinbart, bei uns zu Hause für 3 – 4 Stunden. Obwohl die Kindeseltern nicht zusammen leben, kamen immer beide, zusammen mit der 1 ½ Jahre älteren Tochter.

Etwa ein halbes Jahr später begannen wir, mit der Mutter zielgerichtet über die Ernährungsschwierigkeiten ihres Kindes zu reden und sie von der Notwendigkeit einer Magensonde zu überzeugen. Sie wollte das nicht wahrhaben und blockte diese Gespräche meist ab. Indessen wuchsen die Schwierigkeiten beim Füttern des Kindes, besonders bei der Flüssigkeits- und Medikamentengabe. Nach dem Sommer 2002 veränderte sich unsere Beziehung zur Mutter, wir hatten Kommunikationsschwierigkeiten. Im Oktober, während eines Hausbesuches vom Pflegekinderdienst, baten wir um Hilfe: Wir müssten alle an einen Tisch und unsere Probleme besprechen und außerdem bedurfte es einer medizinischen Lösung des Ernährungsproblems der Kleinen. Da die Mutter zu diesem Zeitpunkt hochschwanger war (Entbindungstermin Anfang Dezember), wurde uns ein Gespräch Anfang Januar 2003 in Aussicht gestellt.

Aber es kam anders: Anfang November 2002 mussten wir notfallmäßig mit dem Kind in die Klinik: Sie hörte nicht mehr auf zu schreien und war grau im Gesicht. Die Diagnose war Speiseröhrenentzündung, das Legen einer Magensonde wurde mittelfristig empfohlen, kurzfristig wurden Magensäureblocker eingesetzt.

Wir brauchten das Einverständnis der Mutter, die sich aber heftig erst gegen die Magensonde, dann gegen den Operateur, dann gegen die Operationsmethode wehrte. Sie lehnte unser Vorhaben, das Kind in dieser Klinik noch vor Weihnachten durch das Legen einer Magensonde von seinen Schmerzen zu befreien, ab. Darüber und weil wir schließlich den Antrag auf Ersetzen ihrer Einwilligung (beim Jugendamt eingereicht) stellten, kam es zum Zerwürfnis zwischen Pflege- und leiblichen Eltern. Das (elterliche) Jugendamt hatte unseren Antrag jedoch gar nicht erst ans Vormundschaftsgericht weitergeleitet.

Die Mutter suchte sich selbst eine Klinik und machte einen Untersuchungstermin bei einem Professor ihrer Wahl aus, der schlussendlich sagen sollte, ob eine OP überhaupt notwendig sei. Da wir schon im Besitz der meisten notwendigen Voruntersuchungsergebnisse waren, konnten wir diesen Termin in eine stationäre Aufnahme umwandeln, zu der wir natürlich unser Pflegekind begleiteten. Besagtem Professor gelang es, der Mutter klarzumachen, dass eine Fundoplicatio-OP (verhindert b.z.w. verringert deutlich Erbrechen), sinnvollerweise mit einer Magensonde kombiniert, ihrem Kind helfen würde. Sie gab am selben Tag für beide Maßnahmen (in einer OP) ihre Zustimmung. Am Vorabend der OP zog sie jedoch telefonisch die Einwilligung für die Magensonde zurück. Da wir nicht informiert wurden, kam es zur Fundoplicatio, die sich kompliziert gestaltete, weil das Kind nur schwer zu versorgen war. Es war 4 Tage auf der Intensivstation und danach war sie noch schwieriger zu füttern als vorher. Alle Mediziner hätten gern eine Sonde gelegt, weil es sinnvoll war, trauten sich aber nicht, weil die Mutter schon damals mit ihrem Anwalt drohte. Nach 14 Tagen war jedoch klar: ohne Sonde verhungert das Kind. Da gab die Mutter dann auch ihre Zustimmung. Also zweite OP, zweite Narkose, erneutes Risiko.

Dieser Krankenhausaufenthalt fiel genau in die Zeit, in der das gemeinsame Gespräch im Jugendamt stattfinden sollte. Zwischenzeitlich beschuldigte die Mutter uns, wir hätten durch das Absetzen von Medikamenten den akuten Zustand ihrer Tochter verschuldet und unsere Kinderärztin würde nur verschreiben, was wir wollten. Deshalb wollten wir auch unsere Ärztin beim Gespräch dabei haben, was vom Jugendamt strikt abgelehnt wurde.

Die Rekonvaleszenz unseres Pflegekindes gestaltete sich schwierig und langwierig nach zwei so kurz aufeinander folgenden Operationen. Dennoch fragten wir im Februar ’03 wieder nach, wann es denn ein gemeinsames Gespräch gäbe. Im März endlich kam vom RSD (Regionaler Sozialdienst) ein Gesprächstermin, allerdings sollte einziger Tagesordnungspunkt der Umgang der Mutter zu ihrem Kind sein. Und tatsächlich: Kein anderes Thema wurde zugelassen. Der Tenor war: Die Mutter will mehr Kontakt zum Kind – am besten jede Woche bei ihr zu Hause. Im Interesse des Kindeswohls und durch aktive Mithilfe des PKD (Pflegekinderdienst) wurden zunächst vierzehntägige begleitete Umgänge im Amt vereinbart. Wir dachten, dass wir uns so zwei bis drei Mal im Amt zum Umgang treffen würden und dann wieder zu Hause – wie gewohnt. Aber schon bei der nächsten Hilfekonferenz wurden wir eines besseren belehrt: Die Kindesmutter hatte – und das sogar erstmals schon im Dezember 02! – beim RSD einen Antrag auf Heimunterbringung gestellt. Nur wir wussten davon nichts. Außerdem erschien uns vor diesem Hintergrund die Forcierung der Elternkontakte erst recht grotesk. Der RSD (Jugendamt) beauftragte den Kinderpsychiatrischen Dienst mit einem Gutachten, das die geeignete Hilfeform für das damals zweieinhalbjährige Kind herausfinden sollte (Pflegefamilie oder Heim). Es gab sogar schon einen Besichtigungstermin in einem Heim, zu dem wir das Kind hinbringen sollten. Uns wurde klar, dass das elterliche Jugendamt sich nicht für unser Pflegekind positionieren würde und für sein Kindeswohl. Daher riefen wir im April ’03 das Familiengericht an (§ 1632 BGB Verbleibensanordnung), um die Herausnahme zur Unzeit zu verhindern. Da erst beantragten die Kindeseltern gemeinsame elterliche Sorge und gleichzeitig wollte der Kindesvater ein eigenes Umgangsrecht mit separaten Terminen.

Die Verhandlung vor dem Familiengericht dauerte eine gute halbe Stunde: die Vorstellung der Anwesenden nahm die längste Zeit in Anspruch. Dann kam der Paukenschlag: Die Mutter begehrte ihr Kind selbst bei sich aufzunehmen und damit schloss der Richter die Akte; wir verloren. Es gab keinen Verfahrenspfleger für das Kind, kein Gutachten, keine Untersuchung, Nachforschung – dafür bekamen wir von der Anwältin der Mutter die schriftliche Aufforderung, das Kind fünf Tage später zu einer bestimmten Zeit mit all seinen Sachen vor der Wohnungstür der Mutter zu übergeben.

Wir waren entsetzt über soviel Unverstand, Ignoranz und Nichtachtung der kleinen Persönlichkeit, die uns zum Schutz anvertraut war: Wir entschlossen uns, im Interesse des Kindeswohls in die zweite Instanz zu gehen, hauptsächlich auch um zu zeigen, wie fragwürdig dieser Prozeß gelaufen war.

Zu dieser Zeit hatte der RSD entschieden, dass wir abwechselnd das Kind direkt zur Mutter zum Kontakt bringen sollten b.z.w. sie sollte es bei uns abholen. Dabei kam es in unserem Hause zum Eklat, der Kindesvater trat ziemlich aggressiv und frech auf – wir lehnten infolgedessen diese Anordnung des Jugendamtes ab und baten weiterhin um begleitete Kontakte, um wieder mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Daraufhin wurde ein Träger für begleitete Umgänge gefunden, der aber schließlich nur die Übergabe des Kindes am Morgen / Nachmittag des Kontakttages überwachte. Es gab keinerlei Gespräche, die wurden sogar abgelehnt. Wir mussten also alle vierzehn Tage 4 mal 16 Kilometer fahren, um unser Pflegekind unter den Augen eines Diplompsychologen an die Kindeseltern zu übergeben b.z.w. abzuholen.

Das Kammergericht (II. Instanz) nahm unseren Antrag an und ordnete das weitere Verbleiben des Kindes bei uns an bis zur Klärung der Verhältnisse. Zunächst wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben unter der Fragestellung, ob die Übersiedlung des Kindes zur Mutter seiner Entwicklung schaden würde und ob die Mutter überhaupt erziehungsfähig sei. Der Gutachter sagte selbst von sich, dass er keinerlei Erfahrung mit derart schwer behinderten Kindern habe, aber er würde „sich schlau machen“. Bei einem gesunden kleinen Kind würde nach so langer Zeit (damals zwei Jahre) Pflegefamilie niemand lange überlegen, aber „unser Kind“ könne sich nicht artikulieren und das Elternrecht wiege schwer.

Während des Auswertungsgespräches beim Gutachter teilte er uns mit, dass er ganz klar für die Mutter votieren würde, er habe nicht entdecken können, dass sie Fehler mit ihren Kindern mache (sie hat ja zwei weitere). Es sei denn, wir könnten uns entschließen, der Mutter das Kind auf Probe zu überlassen, damit augenscheinlich würde, ob es geht oder nicht. Ein weiterer Schock! Niemand fragte danach, wie es dem kleinen Mädchen ging, dass,  als es zu uns kam, ein Zitterbündel voll Angst und Abwehr war. Dass nun ganz langsam Vertrauen gefasst hatte, wieder lachen konnte und wusste, dass wir immer für sie da sind. Niemand gebrauchte da das Wort „Kindeswohl“ – nur wir. Aber wir sahen, dass das „Probewohnen“ unsere einzige Chance war und erarbeiteten mit unserem PKD einen entsprechenden Vorschlag, wohl wissend, dass wir in unserem Pflegekind einen guten Vertrauensvorschuss angelegt hatten. Wir unterbreiteten diesen Vorschlag den Eltern und dem RSD im Oktober und es geschah – nichts! Niemand reagierte, niemand sprach mit uns. Zwischenzeitlich war ich mit unserem Pflegekind im Krankenhaus, die Eltern besuchten ihr Kind dort, aber auch sie sprachen nicht mit uns darüber.

Im Januar ’04 kam dann ein Gegenvorschlag von der gegnerischen Anwältin, der aus der Sicht des Kindeswohls nicht akzeptabel war. Da nun „das Probewohnen“ nicht stattfand, begutachtete der Gutachter zu Ende und wir warteten auf den Termin zur Anhörung. Währenddessen hatte die Kindesmutter regelmäßig 14 tägig Kontakt zu ihrem Kind, weil wir es ihr brachten und auch wieder abholten.

Dann kam das Gutachten! Es war unwissenschaftlich, einfach grottenschlecht und - es war für die Mutter, ganz selbstverständlich.

Wir ließen ein Gegengutachten anfertigen von einer Psychologin, die auf einer neonatologischen Station Eltern und Pflegeeltern mit behinderten Kindern berät, also sehr wohl Erfahrung mit behinderten Kindern und deren Bedürfnissen hat. – Dann kam der Tag vor dem Kammergericht: Was zunächst profund und gut begann, endete mit dem lapidaren Satz: Die Mutter hat sich so überaus positiv präsentiert, dass sie jetzt Gelegenheit haben soll, sich zu beweisen. - Nun war das Probewohnen gerichtlich angeordnet. Nach einer kurzen Anbahnungszeit (täglich ein paar Stunden in der Kita) mussten wir unser Jüngstes, das wir so sehr lieb gewonnen hatten, mit all ihren Sachen, Medikamenten und Papieren am 28.4.04 an ihre Mutter übergeben. Es hieß für drei Monate, mit 14 tägigem Umgangsrecht für uns – danach wird entschieden. Anfangs ging es dem Kind gut, im Laufe der Zeit merkten wir jedoch, dass sie sich merkwürdig verhielt; erst am Ende der jeweiligen Umgangszeit hatte sie sich wieder beruhigt. Später ging es ihr zusehends schlechter. Wir sagten das dem RSD, dem Gutachter, der Mutter – keiner wollte es hören.

Die Probezeit war längst um, es wurden vier, fünf, sechs Monate. Inzwischen meldete sich die Kita des Kindes und berichte über Auffälligkeiten, später sogar über Hämatome, Verletzungen… Sie wollten, dass wir helfen, aber es war zu spät: Am 6.10.04 bekamen wir den am 16.9.04! gefassten Beschluß des Kammergerichts, dass unser Antrag auf Verbleibensanordnung zurückgewiesen wird und das Kind bei seiner Mutter bleibt! Kein Wort von Umgang zwischen uns Pflegeeltern mit unserem Pflegekind, dafür aber die Last der Kosten der gegnerischen Anwältin, sowie die Kosten für das Sachverständigengutachten.

Die Rechtslage ist formaljuristisch klar und anzuerkennen. Aus unserer, der Sicht von verantwortungsbewussten Pflegeeltern aber ist es ein Paradoxon: Wir haben die Pflicht, unsere Pflegekinder zu schützen, zu fördern und zu behandeln, wie unsere eigenen. Ja, der Gesetzgeber gibt uns mit § 1632 BGB ein Instrument an die Hand, um die Herausnahme eines Pflegekindes zur Unzeit verhindern zu können. Dann aber, wenn man den Rechtsstreit verloren hat, nicht nur des Kindes, sondern auch der Einkommensbasis verlustig gegangen ist, dann soll man unlogischerweise die Kosten des Verfahrens und die Anwaltskosten der Gegenseite bezahlen. Wir haben diesen Prozeß im wohlverstandenen Interesse des Kindeswohls geführt, nicht in unserem. Das Jugendamt, hätte hier von Amts wegen entscheiden müssen! Und weil es das nicht tat, haben wir nun zu all dem Leid und Verlust auch noch die Kostenlast, von der wir nicht wissen, wie wir sie tilgen sollen.

Wir meinen, hier ist die Politik gefragt, um Pflegeelternrecht und Prozeßkostenhilfe abzugleichen, damit das Ganze Sinn macht.

s.a. Siefert: Pflegeeltern müssen weder Gerichts- noch Gutachtenkosten zahlen
s.a.
Pflegeeltern tragen Gerichts- und Gutachtenkosten

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Brief an den Bundespräsident Köhler

Berlin, den 09.01.05

Michael & Gerlinde Bogisch
12557 Berlin

An den
Bundespräsident
Horst Köhler

Bundespräsidialamt
Spreeweg 1
10557 Berlin

 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Köhler,

wir wenden uns heute an Sie mit der Bitte um Unterstützung auf politischer Ebene:
Mein Mann und ich sind seit sieben Jahren Pflegeeltern für mehrfach schwerbehinderte Kinder. In dieser Eigenschaft mussten wir 2003/04 einen Prozeß um den Verbleib eines unserer Pflegekinder führen.

Das zuständige Jugendamt war in diesem Fall nicht in der Lage, von Amts wegen eine Entscheidung zu treffen, geschweige denn zwischen leiblichen und Pflegeeltern zu vermitteln, so dass der Gang zum Gericht für uns unumgänglich war.

Der Gesetzgeber hat mit § 1634 BGB Pflegeeltern ein Instrument in die Hand gegeben, die Herausnahme eines Pflegekindes zur Unzeit zu verhindern. Dieses Instrument haben wir genutzt – haben den Prozeß jedoch verloren. Das heißt, unser Pflegekind wurde nach zweieinhalb Jahren von uns weggenommen und der leiblichen Mutter zugeführt, die nach der Entbindung dreieinhalb Jahre brauchte, sich auf ihr Kind einlassen zu können. Nach diesem niederschmetternden Urteil, das aus unserer Sicht am Wohl unseres Pflegekindes vorbei gefällt wurde, kommt aber nun auch noch die Bürde der Gerichts- und – was noch schlimmer ist – Anwaltskosten für den Anwalt der leiblichen Mutter auf uns zu. Da wir nur Pflegeeltern sind, also keine anderen Einnahmequellen haben als das Erziehungsgeld vom Jugendamt und Pflegegeld von der Pflegekasse, mutet es paradox an, nach der Wegnahme eines Pflegekindes (= Wegfall eines Erziehungsgeldes) nun für die Anwaltskosten der leiblichen Mutter oder für die Gutachtergebühren (der Gutachter wurde vom Gericht bestellt) aufkommen zu sollen. Es kann nicht im Sinne des Gesetzgebers sein, Pflegeeltern zur Wahrung der Kindeswohlinteressen zu verpflichten, ihnen ein eigenes Antragsrecht vor dem Familien-gericht einzuräumen, sie dann aber dafür zur Kasse zu bitten. Hier ist die Politik gefragt, um BGB und Prozeßkostenordnung miteinander abzugleichen.

Wie Ihnen sicher bekannt ist, hat der Senat von Berlin die Stärkung des Pflegekinderwesens beschlossen, wenn auch anders strukturiert. Wir Pflegeeltern behinderter Kinder (heilpädagogische Pflegestellen) sind sozusagen ein „Auslaufmodell“ zugunsten anderer Pflegestellenformen. Auch vor diesem Hintergrund ist unsere finanzielle Situation eher unsicher.

Wir stehen aber nun akut mit einem Kostenfestsetzungsbeschluß da, der laut Prozeßkostenordnung völlig korrekt zu sein scheint, der aus unserer Sicht aber ehrenrührig ist, da wir den Prozeß nicht im eigenen, sondern im Interesse unseres Pflegekindes geführt haben.

Es kann nicht gewollt sein, dass wir unsere Altervorsorge angreifen (wir sind 47 und 49 Jahre alt) um diese Kosten zu begleichen oder gepfändet zu werden (wir haben der IBB unser Haus abzuzahlen).

Wir sind bereit, in unserem Pflegeelternverband dafür zu kämpfen, dass das Pflegekinder- und Pflegeelternrecht weiter ausgestaltet wird, brauchen jetzt jedoch schnelle Unterstützung.

Mit freundlichen Grüßen

Michael & Gerlinde Bogisch

s.a. Briefe des Bundespräsidialamtes....

 

Anm.: Auf einen Antrag, der im Oktober 2004 gestellt wurde, ist den Pflegeeltern mittlerweile mitgeteilt worden, dass die Sachverständigen- und Gerichtskosten wegen ihrer knappen Vermögenslage nicht bezahlt werden müssen. Die Kosten für die gegnerische Anwältin bleiben davon unberührt.
C.M., Feb. 2004

 

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