FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2005

 

Geschlossene Unterbringung von Kindern und Jugendlichen

Position unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten
und Anforderungen aus polizeilicher Sicht

 

I. Einleitung

„Erziehung durch Freiheitsentzug muss die große Ausnahme sein“
(Ministerin a. D. Gitta Trauernicht, Hann.Allg.Ztg. v. 29.01.2003)

„Für hochgradig gefährdete und kriminelle Kinder und Jugendliche soll im Rahmen erzieherischer und therapeutischer Konzepte die geschlossene Heimunterbringung in Niedersachsen ermöglicht werden.“
(Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP für die 15. Wahlperiode des Niedersächsischen Landtages 2003 bis 2008)

Unter diesen Gesichtspunkten soll die derzeitige Situation für die geschlossene Heimunterbringung für das Land Niedersachsen aus polizeilicher Sicht dargelegt werden.

1. Zielgruppendefinition
Bei der Diskussion über die Thematik ist zunächst deutlich zu machen, für welche Zielgruppe die Maßnahme einer geschlossenen Unterbringung in Betracht kommt.

Eine treffende Beschreibung ist Walkenhorst gelungen:

Ø Es sollen darunter junge Menschen verstanden werden, die sich weit überdurchschnittlich oft straffällig verhalten haben und deren Straffälligkeit nach Art und Schwere ihrer Straftaten eine besonders hohe „Sozialgefährlichkeit“ erkennen lässt (vgl. dazu Traulsen 199, 312). Ihre Zahl hat sich in den letzten Jahren erhöht, wenngleich daraus noch keine belastenden Schlüsse gezogen werden können.

Ø Es sind junge Menschen, die sich in jedem Fall noch in der Entwicklung ihrer selbst befinden und der Entwicklungshilfe bedürfen.

Ø Es sind junge Menschen, die noch ein hoffentlich langes Leben vor sich haben, noch viel erleben und erfahren, auch zum Wohlergehen ihrer selbst und ihrer Mitmenschen beitragen können.

Ø Es sind junge Menschen, die Schwierigkeiten haben und/oder Schwierigkeiten machen, sich selbst, ihrer unmittelbaren Umgebung oder auch anderen Menschen und Verhältnissen.

Ø Sie beschädigen mit ihrem Verhalten sich selbst und ihre Entwicklungsmöglichkeiten, sie beeinträchtigen mit ihrem Verhalten ihre Mitmenschen, ihre soziale Umgebung und sie binden erheblich personelle und finanzielle Mittel, die auch woanders gut eingesetzt werden könnten.

Sie stellen auch Indikatoren für soziale Schieflagen, für problematische gesellschaftliche Entwicklungen, für instabile Beziehungen, für gestörte oder beeinträchtigte Erziehungsverhältnisse und –umgebungen dar.

2. Fallgestaltung in Niedersachsen
Es ist der Frage nachzugehen, ob diese Zielgruppe von Kindern und Jugendlichen auch in Niedersachsen zu finden, ihre Zahl so hoch ist, dass sie die Bereitstellung von Plätzen zur geschlossenen Unterbringung bedingt. Spektakuläre Einzelfälle haben immer wieder die öffentliche Diskussion über diese jungen Menschen, auch als „Junge Intensivtäter“ bezeichnet, ausgelöst. Es wird von der Bevölkerung und zumindest Teilen der Fachöffentlichkeit erwartet, dass sich primär die Jugendhilfe dieser Gruppe junger Menschen annimmt, sie in ihrer Entwicklung unterstützt und dazu alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpft.

Die Polizei wird diesem Anspruch in Niedersachsen schon seit Anfang 1999 gerecht, in dem die Bearbeitung von Jugendsachen organisatorisch und strukturell eine besondere Gewichtung erfahren hat. Hier ist insbesondere die Konflikt- und Opferorientierung, die Bearbeitung nach dem Wohnortprinzip sowie die enge Vernetzung mit allen an der Entwicklung junger Menschen beteiligten Institutionen zu nennen.

In Niedersachsen fehlten bislang weitgehend verlässliche Daten und Erkenntnisse über Deliktsauffälligkeiten, Vorgeschichten, soziale und persönliche Merkmale junger Menschen und ihrer Familien. War zunächst nach einer Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)  von 551 Fällen (Stand: Sept. 2002) delinquenter Kinder auszugehen, wurde dieses Datenmaterial durch das Landeskriminalamt Niedersachen (LKA NI) einer nochmaligen kritischen Recherche unterzogen. Auf Grund landeseinheitlich festgelegter Zuordnungskriterien ergab sich danach eine Zahl von 119 Fällen hochdelinquenter Kinder. Eine nochmalige spezialisierte Falldarstellung und –auswertung, in welche das LKA NI alle der Polizei bekannten Jugendhilfemaßnahmen, die Situationen des sozialen Umfeldes und sonstigen personenbezogenen Auffälligkeiten (z. B. Schulschwänzen) einbezogen hatte, ergab, dass es in Niedersachsen im Erhebungszeitraum 2001/2002 insgesamt 69 Fälle von hochdelinquenten und auffälligen Kindern gab, bei denen die Fallverläufe die Notwendigkeit einer geschlossenen Unterbringung erkennen ließen.

Im welchem Unfang sich diese polizeilichen Feststellungen bestätigen, wird zur Zeit für 49 sog. Akutfälle durch ein beim Nds. Landesjugendamt angesiedeltes Kriseninterventionsteam (KIT) analysiert. Ein abschließendes Ergebnis ist in Kürze zu erwarten.

3. Diskussionsverlauf der geschlossenen Unterbringung
Zur bisher geführten Diskussion über die geschlossene Unterbringung:
Kinder und Jugendliche entwickeln in geschlossenen Heimen eine „Insassen- und Knast-Mentalität“, die zur Ablehnung der Betreuer als „Einschließer“ führt und alle Energie auf den Ausbruch konzentriert.

Für eine kleine und überschaubare Zahl von Kindern und Jugendlichen ist eine vorübergehende außerfamiliäre Unterbringung mit partiellem Freiheitsentzug m. E. nicht zu umgehen, wenn man diese Kinder und Jugendlichen nicht fallen lassen möchte.

Jugendhilfe wird für ein Sammelsurium von Interessen und Aufgaben in Anspruch genommen, die von ihrem Handlungsauftrag häufig nicht gedeckt sind. So wird ihr zugemutet, mit der geschlossenen Unterbringung gleichsam einen „Strafersatz“ vorzuhalten, mittel derer „nicht-erziehbare“ Jugendliche davon abgehalten werden sollen, strafrechtliche oder andere gesellschaftliche Normen zu übertreten.

Geschlossene Unterbringung, so wie in der Öffentlichkeit regelmäßig gefordert wird, ist geeignet, gesellschaftliche Verhältnisse zu kaschieren, nicht jedoch die bestehenden Probleme zu lösen. Weder Jugendhilfe noch Justiz sollten dieses zweifelhafte Unterfangen unterstützen.

Ich glaube, dass wir solche Plätze für unter 14jährige brauchen werden. Keine Heime, aber geschlossene Plätze in Einrichtungen. Das darf nicht mehr so pauschal abgelehnt werden.

Diese Auswahl von Zitaten mag belegen, dass die Diskussion zur geschlossenen Unterbringung weder neu ist noch gleichförmig geführt wird. Außer Zweifel steht aus hiesiger Sicht, dass eine ideologisch geführte Diskussion dem Anspruch entgegensteht, sich dieser sachlich zu stellen und nach wirklichen Lösungsansätzen zu suchen. Wenngleich derzeit ein breiter Konsens in der Diskussion kaum zu erwarten ist, zeichnet sich jedoch ein Paradigmenwechsel ab.

Den Zweifeln, ob in der geschlossenen Unterbringung das Allheilmittel zur Lösung und Klärung eine durch die Jugendhilfe kaum noch zu befriedende Konfliktkonstellation junger Menschen gefunden werden kann, muss unvoreingenommen und pragmatisch nachgegangen werden.
 

II. Konzepte aus anderen Bundesländern

Aufschluss über die erzieherischen und sozialarbeiterischen Konzepte und der therapeutischen Arbeit in vorhandenen Einrichtungen, dienten ausführliche Informationsbesuche im Martinistift Nottuln, 48302 Nottuln (NRW) und im Jugendheim Mühlkopf (Internationaler Bund), 66971 Rodalben (RP).

Die Leiter der Einrichtungen standen für intensive Gespräche zu den pädagogischen Konzepten und für die Besichtigung der Räumlichkeiten zur Verfügung, dabei konnten ferner kurze Gespräche mit dem Betreuungspersonal und Probanden geführt werden. Die Ergebnisse sind –wenn auch z. T. identisch- nachstehend für jede Einrichtung dokumentiert.

1. Martinistift Nottuln
Die Einrichtung Martinistift in Nottuln (NRW) wurde am 31. 03. 03 von Carola Gustedt und Winfried Bodenburg, LKA NI besucht.

Das zuvor studierte pädagogische Konzept wurde in einem vertiefenden Gespräch anhand eines Fragenkataloges mit dem pädagogischen Leiter, Herrn Pohlmann, erörtert.

Die Besichtung einer geschlossenen Gruppe fand nachfolgend statt.

Träger des Martinistift Nottuln ist der Kinder- und Jugendhilfeverbund Münsterland/ Ruhrgebiet.

Die Einrichtung Martinistift Nottuln hält 3 geschlossene Gruppen, bestehend aus maximal 10 Jungen, altersgemischt, vor.

Spezielle Zielsetzungen:

  • Die Zielgruppe für eine Unterbringung sind männliche Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 11 –17 Jahren (keine koedukativen Gruppen).
     
  • Die zeitliche Begrenzung der geschlossenen Unterbringung gestaltet sich individuell. Jedoch wird ein Zeitansatz von mindestens einem halben Jahr bis zu einem Jahr Aufenthalt als bewährt angesehen (nach ca. einem Jahr des Aufenthaltes setzt ein Gewöhnungseffekt ein).

    Hierbei erfolgt nach 8 Wochen ein Klärungsprozess, ob diese Form der Unterbringung als geeignet für den Klienten erscheint oder ob evtl. eine andere Unterbringungs- und Betreuungsform für den Klienten angezeigt ist. Ein Abbruch der Maßnahme wird ebenfalls spätestens zu diesem Zeitpunkt geprüft, falls sich der Klient als „Totalverweigerer“ jeglicher Angebote gezeigt hat.
    Der Ablöseprozess aus der geschlossenen Gruppe wird von Beginn der Arbeit mit den Klienten betrachtet und vorbereitet.
     
  • Systemischer Ansatz: Von Beginn an wird eine begleitende Elternarbeit durchgeführt.
    Mit Aufnahme in die geschlossene Gruppe und somit der Trennung von alten Strukturen stellt sich den Klienten häufig die Frage nach ihren Wurzeln.
    Auch bei Klienten aus anderen Bundesländern, d.h. in Fällen, bei denen die Distanz zur Familie wichtig ist, wird Elternarbeit betrieben, jedoch in anderer speziell für diese Klienten geeigneter Form.
     
  • Gruppenstruktur: Die Unterbringung erfolgt in drei geschlossenen Gruppen. Jede Gruppe besteht maximal aus 10 Jungen, ist altersgemischt und strukturiert. Es gibt eine klare Gruppenführung.
    Der Personalschlüssel liegt in einem Verhältnis 1:1.
    Die Jungen benötigen den emotionalen Halt in der Gruppe, sie haben hier die Möglichkeit sich von alten Gruppenstrukturen alter Cliquen zu lösen und können eine eigene Neubewertung und Selbstidentifikation in der jetzigen Gruppe vornehmen.
    Wichtig ist, dass das Team die gewünschten Verhaltensregeln, Einstellungen und Handlungsweisen vorleben, da dies sehr kritisch von der Gruppe hinterfragt und überprüft wird.
    Wirksysteme in der Gruppe: Zunächst hoher Identitätsverlust, dann Aufbau neuer Identitätsmuster z. B. durch täglich geführte Gruppengespräche.
     
  • Schulbesuch: Es befinden sich drei Schulen unterschiedlicher Schulform auf dem Gelände – Hauptschule, Schule für Lernbehinderte, Schule für Erziehungshilfe.
    Die Schule für Erziehungshilfe betreut die Klienten direkt in der geschlossenen Gruppe in einer Einheit mit 3 – 4 Jungen.
    Wenn die Jungen genügend Halt in der Gruppe haben und bereits eine längere Verweildauer dort erfolgt ist, besuchen diese eine der Schulen auf dem Gelände. Der Unterricht in der Hauptschule und der Schule für Lernbehinderte erfolgt in der Gruppenstärke 10 – 15 Jungen.
    Schulverweigerung wird in Form von Sanktionen durch die Gruppe begegnet.
     
  • Die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt erfolgt in Form von Hilfeplangesprächen, auch unter Einbeziehung der Eltern. Das erste Gespräch findet in den ersten 6 Wochen des Aufenthaltes des Klienten statt.
    Wünschenswert wäre ein regelmäßiger Besuch des Jugendamtes in der geschlossenen Gruppe alle 3 Monate.
     
  • Die Zusammenarbeit mit der Polizei z. B. wenn Ermittlungen während der Unterbringung zu führen sind, gestaltet sich derart, dass die Polizeibeamten direkt in die Gruppe kommen oder ein Erzieher den betroffenen Jungen zur Dienststelle begleitet. Bislang sind keinerlei Komplikationen aufgetreten.

    Die Zusammenarbeit mit sonstigen Freien Trägern erfolgt z. B. regelmäßig mit der Drogenberatungsstelle, die zu Informationsveranstaltungen die Einrichtung aufsucht.
     
  • Ausschlusskriterien (außer den im Konzept genannten): Bei Sorgerechtsentzug (Sorgerecht in der Verantwortung des Jugendamtes) wird ganz genau hingeschaut.
    Bei ethnischer Zugehörigkeit zu Sinti und Roma wird die Einbettung in die Kultur und das Familiensystem einer genauen Überprüfung unterzogen.
     
  • Begrifflichkeit der Eigen- und Fremdgefährdung: Unter Eigen- und Fremdgefährdung wird das Zusammentreffen von hohem Aggressionspotential + Steuerungsverlust + Impulskontrollverlust + niedrige Intelligenz verstanden. Das Zusammentreffen dieser Faktoren stellt eine Überforderung des Klienten in einem Gruppengefüge dar und kann somit als nicht gruppenfähig angesehen werden.
     
  • „Eignung“ zur Aufnahme: Es gibt keine Mindestanforderungen für die „Eignung“ der Aufnahme. Die Aufnahme in eine geschlossene Gruppe ist nicht unbedingt als „ultima ratio“ anzusehen. Es müssen nicht zuvörderst alle Maßnahmen, die das KJHG zu bieten hat, ausgeschöpft worden sein.
    Eine so starke Gefährdung der Entwicklung, dass der Proband sich mit eigenen Kräften nicht mehr lösen kann oder der Proband sich in einer Lebenssituation befindet, in der er keine andere Hilfe mehr akzeptieren kann z. B. Ausüben der Prostitution, Zerreibung in der Familie, Zugehörigkeit zu rechtsradikalen Gruppen, sind durchaus Gründe, die für eine Aufnahme in eine geschlossene Gruppe sprechen.
    Auch ist hohe Delinquenz nicht als alleinige „Eignungsvoraussetzung“ anzusehen, sie wird jedoch häufig als Symptomträger für anderes Konfliktpotential erkennbar.
     
  • Vita der Klienten: Die Vita der Klienten sind individuell, es sind nicht immer identische Verläufe erkennbar. Erkennbar sind jedoch vergleichbare hilflose Versuche seitens der Jugendämter und Jugendpsychiatrien mit erzieherischen Mitteln auf die Klienten einzuwirken, sie zu einer Verhaltensänderung zu bewegen.
     
  • Hilfeplan / sonstige Voraussetzungen: Ein aktueller Hilfeplan muss vor der Unterbringung in die geschlossene Gruppe erstellt werde. Zusätzlich erfolgt i.d.R. eine Abklärung durch ein psychiatrisches Gutachten. Ein Verfahrenspfleger ist während des Verfahrens involviert. Der Beschluss des Familiengerichtes ist obligatorisch.
    Ein hoher Stellenwert wird der Wahrung der Rechte der Klienten eingeräumt, z.B. findet kein sogenannter Einschluss, ähnlich wie in einer Vollzugsanstalt statt, Zwangsmittel kommen nicht zur Anwendung.
     
  • Kosten: Ca. 230 € pro Tag / pro Person
     
  • Qualifikation der BetreuerInnen: Pro Gruppe arbeiten 3 MitarbeiterInnen im diagnostischen und analytischen Bereich der systematischen Beobachtung, es gibt eine Teamleitung sowie MitarbeiterInnen, die die Fähigkeit zur gruppenpädagogischen Arbeit, zur Einzel- und Beziehungsarbeit sowie zur Eigenreflexion besitzen. Supervisionen und Intervisionen sind obligatorisch.
    Die Arbeit in den Gruppen erfolgt zur Vermeidung einer hohen Fluktuationsrate und damit einhergehender, pädagogisch nicht zu vereinbarender Beziehungsarbeit nur auf der Basis des festangestellten und vollzeitbeschäftigten Personals.
     
  • Rückfallquote: Klienten der geschlossenen Unterbringung werden durchschnittlich zu ca. 50 % rückfällig.
     
  • Beendigung der Maßnahme: Nach Beendigung der Maßnahme der geschlossenen Unterbringung erfolgt eine individuelle Anschlussmaßnahme. D.h. es kann ein Angebot in anderen Einrichtungen angenommen werden, die offenen Gruppen des Martinistiftes besucht werden, aber es besteht auch durchaus die Möglichkeit der direkten Entlassung in das Elternhaus.
     
  • Bauliche Sicherungen: Im Haus ist eine freie Bewegungsmöglichkeit vorhanden. Es gibt keinen time- out- Raum (keinen Einschluss). Der freie Ausgang erfolgt als 3. Stufe.
     
  • Akzeptanzprobleme: Durch die sehr ländliche Lage, ist der Kontakt zu den Bewohnern nicht direkt gegeben, so dass kaum Resonanz aus der Öffentlichkeit erfolgt.
     
  • Der Einzugsbereich der Zielgruppe erfolgt aus dem gesamten Bundesgebiet. Jährlich liegen ca. 250 Anfragen zur geschlossenen Unterbringung vor.
    Insgesamt werden 170 Jungen in den Einrichtungen des Martinistiftes betreut.

2. Internationaler Bund  - Jugendheim Mühlkopf Rodalben
Die Einrichtung Jugendheim Mühlkopf in Rodalben (RP) wurde am 16. 04. 03 von Carola Gustedt und Winfried Bodenburg besucht.

Der geschäftsführende Leiter Herr Ulrich Teufel stand auf der Grundlage des pädagogischen Konzeptes für ein intensives Gespräch zur Verfügung.

Die Besichtung einer geschlossenen Gruppe fand nachfolgend statt.

Träger des Jugendheimes Mühlkopf ist der Internationale Bund (IB). Der IB ist in freier Trägerschaft und ist in allen Bundesländern tätig.

Der IB unterhält ca. 800 Einrichtungen, in der Mehrzahl Bildungszentren, Beratungsdienste und ambulante Wohnheime sowie über 30 stationäre und ambulante Angebote der Kinder- und Jugendhilfe.

Die Einrichtung Rodalben hält seit fast 20 Jahren Plätze zur geschlossenen Unterbringung vor.

Im Juli 2002 ist eine zweite geschlossenen Gruppe errichtet worden.

Spezielle Zielsetzungen:

  • Die Zielgruppe für eine geschlossene Unterbringung sind männliche Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 17 Jahren, wobei eine Aufnahme eines Klienten nur bis zum Alter von 15 Jahren erfolgt, da hiernach bei den Jungen schon eine zu starke Verfestigung der Auffälligkeiten stattgefunden hat.
     
  • Die Verweildauer in der geschlossenen Unterbringung gestaltet sich individuell. Jedoch ist ein Zeitansatz von 8 bis 12 Monaten Aufenthalt die Regel, z.T. sind 15 Monate angemessen.
    Die Mindestverweildauer der Klienten von 8 Monaten ist notwendig, damit u.a. der sehr strukturierte Tagesablauf verinnerlicht werden kann und um die erzieherischen Ziele der Unterbringung erreichen und festigen zu können.
    Nach 6 bis 8 Wochen erfolgt ein Hilfeplangespräch mit den Jugendlichen und der Klärungsprozess der aktiven Mitarbeit, die eine wesentliche Voraussetzung der Arbeit ist. Ein wesentliches Ziel dabei ist, die jeweiligen persönlichen Ressourcen zu erkennen und diese in positive Energien zu wandeln.
    Es stellt sich in dieser Zeitspanne heraus, ob diese Form der Unterbringung als geeignet für den Klienten erscheint oder ob evtl. eine andere Unterbringungs- und Betreuungsform angezeigt ist.
    Die ersten vier Wochen bekommen die Jungen keinen Ausgang, danach erfolgt eine individuell abgestimmte Lockerung des Ausganges in unterschiedlichen Stufen.
    Bei Entweichungen innerhalb der ersten sechs Wochen erfolgt eine Ausweisung aus der Einrichtung.
    Der Ablöseprozess aus der geschlossenen Gruppe wird von Beginn der Arbeit mit den Klienten betrachtet und vorbereitet.
     
  • Aufnahme: Die Aufnahme erfolgt zumeist direkt in die geschlossenen Gruppen, nur selten direkt in das offene Angebot. Daraus folgt, dass die Klientel in den offenen Gruppen zu ca. 90% zuvor die geschlossene Unterbringung durchlaufen hat.
    Die Aufnahme erfolgt bundesweit.
    Die Einrichtung verzeichnet drei mal soviel Anfragen wie Kapazitäten vorhanden sind.
     
  • Elternarbeit: Die Elternarbeit ist wegen der häufig sehr großen Entfernung nur eingeschränkt möglich. Bei 2/3 der Jugendlichen erfolgt keine intensive Zusammenarbeit mit dem Elternhaus, zu beobachten ist, dass Eltern ihre Kinder „abgeschrieben“ haben und keinerlei Beziehungen aufbauen wollen.
    Eine Rückführung in die Herkunftsfamilie ist nur selten realistisch; das primäre Ziel ist die Verselbständigung der Jungen.
     
  • Gruppenstruktur: Die Unterbringung erfolgt in zwei geschlossenen Gruppen. Jede Gruppe besteht aus maximal 8 Jungen und ist nach Alter und Status strukturiert.
    Für die 16 Jungen stehen insgesamt 20 MitarbeiterInnen zur Verfügung, von denen 12 MitarbeiterInnen direkt im Gruppendienst tätig sind. Des weiteren arbeiten drei HeilpädagogInnen, ein Psychologe und vier Honorarkräfte gruppenübergreifend.
    In der Gruppe arbeiten ständig mindestens drei Mitarbeiter zeitgleich, die täglich bis 15 Uhr im Bereich Heilpädagogik unterstützt werden.
    Die Jungen benötigen den emotionalen Halt in der Gruppe, sie haben hier die Möglichkeit sich von alten Gruppenstrukturen alter Cliquen zu lösen und können eine eigene Neubewertung und Selbstidentifikation in der jetzigen Gruppe vornehmen.
    Wichtig ist, dass das Team die gewünschten Verhaltensregeln, Einstellungen und Handlungsweisen vorleben, da dies sehr kritisch von der Gruppe hinterfragt und überprüft wird.
    Ein wichtiges Kriterium ist die Entwicklung persönlicher Beziehungen zwischen den BetreuerInnen und dem einzelnen Klienten (Bezugserzieher- System).
    Wirksysteme in der Gruppe: Zunächst hoher Identitätsverlust, dann Aufbau neuer Identitätsmuster z. B. durch täglich geführte Gruppengespräche.
    Es ist angedacht die Gruppenstruktur in naher Zukunft zu verändern. Hierzu sind kleinere Gruppen mit jeweils 3 Jugendlichen und 4 BetreuerInnen vorgesehen, die verstärkt in Einzelmaßnahmen arbeiten werden.
     
  • Schulbesuch: Die Einrichtung hält eine heiminterne Schule vor, die von allen Angehörigen der geschlossenen Gruppen besucht wird. Die interne Schule soll die Motivation für Schule wieder wecken, da die Klienten fast ausschließlich auch Schulverweigerer sind. Der Unterricht ist sehr individuell gestaltet, zumeist erfolgt die Arbeit in Einzelbetreuung oder Zweigruppenarbeit.
     
  • Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist als sehr positiv anzusehen. Es gibt einen „kurzen Draht“ auch zur StA. Wenn Jugendliche massiv KV- Delikte oder Diebstahlsdelikte gegen andere Jungen in der Gruppe begehen, wird von Seiten der Einrichtung eine Anzeige bei der Polizei gemacht. Dies wissen die Jugendlichen und wird ihnen im Einzelfall auch mitgeteilt.
    Wenn Ermittlungen während des Aufenthaltes zu führen sind, erscheint die Polizei in der Einrichtung.
    Ein mal pro Jahr findet eine Zusammenkunft zwischen StA, Polizei, dem Jugendamt und der Einrichtung statt.
     
  • Ausschlusskriterien: Sind eindeutige geistige Behinderungen, psychiatrische Grunderkrankungen sowie ethnische Besonderheiten z.B. Sinti / Roma, da diese jegliche Zusammenarbeit komplett verweigern.
    Ein Drittel der Jugendlichen kommt gegen ihren Willen in die Einrichtung der geschlossenen Gruppe z.T. von der Polizei in Handschellen zugeführt.
     
  • Begrifflichkeit der Eigen- und Fremdgefährdung: Unter Eigen- und Fremdgefährdung wird das Zusammentreffen von hohem Aggressionspotential + Steuerungsverlust + Impulskontrollverlust + niedrige Intelligenz verstanden. Das Zusammentreffen dieser Faktoren stellt eine Überforderung des Klienten in einem Gruppengefüge dar und kann somit als nicht gruppenfähig angesehen werden.
     
  • Vita der Klienten: Die Vita der Klienten sind individuell, jedoch lassen sich durchaus Parallelen feststellen. Delinquenz und andere Auffälligkeiten, zumeist starke soziale Vernachlässigung, sowie aktive und passive Gewalterfahrungen in der Familie sind bei den meisten Jungen häufig gesammelte Erfahrungen. Ca. 90 % der Klienten entstammen dem Unterschichtmilieu.
    Vor der Aufnahme in die geschossene Gruppe durchlaufen die Klienten häufig die gesamte Palette ambulanter Hilfen in offenen Einrichtungen der Jugendhilfe. Erst wenn sie sich diesen vermehrt durch Flucht oder Verweigerung entziehen, wird eine geschlossene Unterbringung in Betracht gezogen.
    D.h. die geschlossene Unterbringung ist hier „letztes Mittel“.
     
  • Hilfeplan / sonstige Voraussetzungen: Ein aktueller Hilfeplan muss vor der Unterbringung in die geschlossene Gruppe erstellt werde. Zusätzlich wird i.d.R. nach einer umfassenden Diagnostik ein psychiatrisches Gutachten erstellt. Der Beschluss des Familiengerichtes ist obligatorisch. Weiterhin bedarf es der Zustimmung des Sorgeberechtigten, in der Regel ist es das Jugendamt.
    Der Hilfeplan wird nach jeweils drei Monaten überprüft und aktualisiert.
     
  • Kosten: Ca. 220 € pro Tag / pro Person
     
  • Qualifikation der BetreuerInnen: 20 MitarbeiterInnen sind für die beiden geschlossenen Gruppen zuständig. Davon sind 12 MitarbeiterInnen direkt im Gruppendienst tätig; hierbei handelt es zumeist um ErzieherInnen, Heilerziehungspfleger und vereinzelt um Dipl. Sozialpädagogen/Dipl. Sozialarbeiter. Des weiteren arbeiten drei HeilpädagogInnen, ein Psychologe und vier Honorarkräfte gruppenübergreifend.
    Die MitarbeiterInnen werden als Multiplikatoren im Anti- Aggressions- Training ausgebildet, insbesondere werden ganz bewusst Frauen hierfür befähigt.
    Aufgrund der Schwierigkeiten geeignete pädagogische MitarbeiterInnen zu finden, erfolgt bei nicht vorhandener Fachausbildung eine berufsbegleitende Ausbildung mit Genehmigung des Landesjugendamtes.
    Alle MitarbeiterInnen sind extremen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt, wobei körperliche Übergriffe nicht ausgeschlossen sind.
    Vor der Einstellung in ein Arbeitsverhältnis erfolgt eine dreitägige Probearbeit. Eine sechsmonatige Probezeit ist obligatorisch.
     
  • Rückfallquote: Klienten der geschlossenen Unterbringung werden durchschnittlich „nur“ zu einem Drittel rückfällig. Je früher der Klient aufgenommen wird, desto größer ist die Chance auf eine rückfalllose Perspektive.
     
  • Beendigung der Maßnahme: Nach Beendigung der Maßnahme der geschlossenen Unterbringung erfolgt eine weiterführende Maßnahme in einer der offenen Gruppen in der Einrichtung. Es wird nicht in andere Einrichtungen mit offenem Angebot vermittelt. Die Jungen haben im offenen Bereich die Gelegenheit im geschützten Rahmen eine Ausbildung zu absolvieren. Sie können in der einrichtungsinternen Tischlerei als auch in der Malerei sowie in dem nahegelegenen Ausbildungsbereich in Pirmasens einen von ca. 10 bis 15 Ausbildungsangebote wahrnehmen. Bis zum Abschluss der Ausbildung bleiben die Klienten in dem offenen Gruppenbereich.
     
  • Bauliche Sicherungen: In den offenen Gruppen ist eine freie Bewegungsmöglichkeit vorhanden. Die jeweiligen Wohnungseingangstüren sind verschlossen. Vor den Fenstern befinden sich Gitter.
    Je nach Verweildauer in der geschlossenen Gruppe und Lockerung der räumlichen Beschränkungen, kann der umzäunte Außenbereich des Geländes genutzt werden.
     
  • Akzeptanzprobleme: Es gibt in der Bevölkerung keine Akzeptanzprobleme. Im Mai soll entschieden werden, ob in der Einrichtung eine Gruppe zur U- Haft Vermeidung, installiert werden soll. Dies erfolgt bei den Jugendlichen auf der Basis der Freiwilligkeit sowie bei zu erwartender geringer Strafe.
  • Selbst vor diesem Hintergrund, der in der Bevölkerung durchaus bekannt ist, gibt es keine negativen Äußerungen.
     
  • Der Einzugsbereich der Zielgruppe umfasst das gesamte Bundesgebiet.
     

3. Zusammenfassung (aus konzeptioneller Sicht)

Zusammenfassend kann für die Arbeit beider Einrichtungen festgestellt werden:
Die Parallelität geschlossener und offener Gruppen wird als pädagogisch sinnvoll erachtet, da beispielsweise ein Anreiz für die Klienten der geschlossenen Gruppen besteht „es selbst auch in die offenen Gruppen zu schaffen“.

Ferner ist die Beziehungsarbeit in geschlossenen Einrichtungen pädagogisch sinnvoll und erfolgreich. Die Maßnahme der geschlossenen Unterbringung schließt eine erfolgreiche und fruchtbare Beziehungsarbeit keineswegs aus.

Ausschlaggebend ist ein von allen Mitgliedern getragenes pädagogisches Konzept, dieses entspricht überregional anerkannten Standards und wird ständig überprüft und aktualisiert.

Zudem ist die Unterbringung in eine geschlossene Gruppe ein „Mittel zum Zweck“, denn nur so kann die Anwesenheit der Klienten gesichert werden, welche als unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit angesehen werden muss.

Ohne die Möglichkeit der geschlossenen Unterbringung muss insbesondere nach dem Scheitern vorheriger Hilfen ein völliges Abgleiten der Klienten in Kriminalität, Verwahrlosung, Drogensucht pp. befürchtet werden.

Ein Problem stellen letztendlich diejenigen Jugendlichen dar, die aufgrund ihres Alters, ab 16 Jahren aus pädagogischen Gründen nicht mehr aufgenommen werden können und von der hohen professionellen Betreuung und dem erzieherischen Potential derartiger Einrichtungen nicht mehr erfasst werden.
 

III. Rechtliche Betrachtung

Die Freiheit der Person ist ein Menschen- und ein Grundrecht. Deswegen kann sie gemäß Art. 104 GG nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden.

In Art. 37 der Kinderrechtskonvention (KRK) heißt es,

- dass Festnahme, Freiheitsentziehung und Freiheitsstrafe bei einem Kind (bis zu 18 Jahren) im Einklang mit dem Gesetz nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden,

- dass jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, menschlich und mit Achtung vor dem der dem Menschen inne wohnenden Würde und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse von Personen seines Alters behandelt wird und

- dass jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, das Recht auf umgehenden Zugang zu einem rechtskundigen oder anderen geeigneten Beistand und das Recht hat, die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung anzufechten.

Außerdem ist gemäß Art. 3 KRK das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen. Im Umkehrschluss ergibt sich aus diesen Regelungen, dass eine Freiheitsentziehung bei Minderjährigen (unter 18 Jahre) bei Beachtung rechtsstaatlicher Grenzen grundsätzlich zulässig sein kann, wenn eine entsprechende Rechtsgrundlage gegeben ist.

Rechtsgrundlagen für eine Unterbringung mit Freiheitsentziehung gibt es sowohl im Strafrecht, im Zivilrecht, als auch im Öffentlichen Recht.

Dabei soll unterschieden werden zwischen

1. der Unterbringung noch nicht strafmündiger Kinder

2. Untersuchungshaft nach §§ 71, 72 JGG bzw. möglichen Alternativen

3. der Verhängung freiheitsentziehender Rechtsfolgen ( Arrest und Jugendstrafe)
 

1. Unterbringung noch nicht strafmündiger Kinder

1.1. Zielgruppe

Zur Größe der Zielgruppe strafunmündiger Kinder, die mit delinquenten Verhaltensweisen in Niedersachsen im Jahre 2002 aufgefallen sind:

Tatverdächtige Kinder unter 14 Jahren insgesamt

13.864

davon männlich

9891

davon weiblich

3973

Gesamttatverdächtige

224.008

prozentualer Anteil der Kinder

6,19%

davon männlich

71,34%

davon weiblich

28,66%

Gliedert man die tatverdächtigen Kinder nach Straftaten, so zeigt sich für das Jahr 2002 folgendes Bild.

Kinder unter 14 Jahren
 

Gesamtzahl
 

Jungen
 

Mädchen
 

Diebstahl (ohne erschwerende Umstände)

8220

5252

53,1%*

2968

74,7%*

Diebstahl (unter erschwerenden Umständen)

1042

927

9,37%

115

2,89%

davon Ladendiebstahl –

6593

3955

39,99%

2638

66,4%

Sachbeschädigung

2336

1998

20,2%

338

8,5%

Körperverletzung (vors. und leicht)

955

776

7,85%

179

4,5%

schwere u. gefährl. Körperverletzung

837

672

6,8%

165

4,15%

Brandstiftung

463

409

4,1%

54

 1,36%

Raub, räub. Erpressung, Angriffe auf Kraftfahrer

314

285

2,88%

29

 0,73%

Erpressung

95

84

0,85%

11

0,28%

* Von den Gesamttatverdächtigen Jungen (9891) bzw. Mädchen (3973) entfällt prozentual auf z.B. Diebstahl etc.

Bei den Spitzenpositionen (Diebstahl) handelt es sich meist um Ladendiebstahl. Dieses Massenphänomen hat überwiegend Bagatell-, Gelegenheits- und Episodencharakter und sollte deswegen nicht dramatisiert werden.

Andererseits gibt es eine Gruppe von ca. 4 – 5% der Kinder, die eine Mehrzahl von Delikten begehen und in der Gefahr sind, in eine "kriminelle Karriere" zu geraten. Bekannt ist, dass die sog. Intensivtäter bereits in früher Kindheit Verhaltensauffälligkeiten zeigen.

Damit stellt sich die Frage nach Prävention und Reaktion und ihren rechtlichen Grundlagen.

1.2. Rechtsgrundlagen

Strafrecht

Voraussetzung für die Anwendung innerhalb des Strafrechtes ist die Strafmündigkeit. Da die erst mit 14 Jahren beginnt, können Kinder nicht bestraft werden.

Demzufolge stehen für Kinder nur die Rechtsgrundlagen aus dem öffentlichen Recht, insbesondere dem Kinder- und Jugendschutzgesetz (KJHG/ SGB VIII) und dem Zivilrecht zur Verfügung.

Öffentliches Recht

Freiheitsentziehende Maßnahmen sind nach dem Wortlaut des Gesetzes nur im Falle des § 42 Abs. 3 SGB VIII (KJHG) erlaubt.
Nach der Legaldefinition des § 42 Abs. 1 SGB VIII (KJHG) ist die „Inobhutnahme“ die vorläufige Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen bei einer geeigneten Person, in einer Einrichtung oder in einer sonstigen betreuten Wohnform.
Die Voraussetzungen und Anforderungen für eine Inobhutnahme gelten zwingend auch für freiheitsentziehende Maßnahmen.

Freiheitsentziehende Maßnahmen liegen vor, wenn die körperliche Bewegungsfreiheit der betreffenden Person, auf welche Weise auch immer und unabhängig vom Intensitätsgrad, beeinträchtigt ist. Freiheitsentziehung liegt auf jeden Fall vor, wenn jemand gegen oder ohne seinen Willen an einem bestimmten Ort festgehalten wird.
Freiheitsentziehung liegt auch vor, wenn zwar der konkrete Ort verlassbar ist, nicht aber die Wohnung, die Einrichtung, Gebäude usw., in der die Person untergebracht ist.

Eine freiheitsentziehende Maßnahme ist bei dringender Gefahr für das Wohl des Kindes und Jugendlichen und nur dann zulässig, wenn und soweit sie erforderlich ist, um eine Gefahr für Leib oder Leben des Kindes, eines Jugendlichen oder einem Dritten abzuwenden.

Der Gefahrenbegriff ist hier nicht gleichgestellt mit der polizeilich definierten Gefahr, sondern mit der Gefahrenlage i.S.d. § 1666 BGB.
Diese wird z.B.  bei den verhängnisvollen S-Bahn-Surfen, sowie anderen Fällen deutlicher Suizidgefährdung oder bei den sog- „Crash-Kids“ der Fall sein (Eigen- und Fremdgefährdung). Nicht aber schon bei jeder drohenden einfachen Körperverletzung. Die Gefährdung anderer Rechtsgüter wie Eigentum, Besitz etc. auch wiederholt, reicht nicht aus.

Die Gefahr muss dringend sein. Das ist dann der Fall, wenn ein Abwarten nicht mehr möglich ist.
Es muss also objektiv eine große Wahrscheinlichkeit bestehen, dass Leib oder Leben des Kindes oder eines Dritten gegenwärtig, also in allernächster Zeit in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Gefahrenlage muss sich hierbei aus Tatsachen ergeben. Reine Spekulationen, Alltagserfahrungen und Vermutungen begründen nicht  die Annahme einer dringenden Gefahr.

Aber auch die dringende Gefahr ermächtigt nicht automatisch zu freiheitsentziehenden Maßnahmen. Die Maßnahme muss verhältnismäßig, d.h. geeignet und auch erforderlich sein ( Abs. 3 S.3). Sie kann auch nur so lange dauern wie die dringende Gefahr besteht.

Das Jugendamt hat immer zu prüfen, ob durch andere Maßnahmen (z.B. intensive Einzelbetreuung, § 35 KJHG, räumliche und zeitliche Beschränkung) eine Freiheitsentziehung vermieden bzw. weitergeführt werden kann.
Dass das Jugendamt entsprechend geprüft hat, muss sich aus dem Antrag auf bzw. bei Gefahr im Verzuge aus den Gründen der Entscheidung für eine freiheitsentziehende Unterbringung ergeben.

Bei jeder freiheitsentziehenden Unterbringung ist eine gerichtliche Entscheidung notwendig, und zwar regelmäßig eine vorherige. Aufgrund des Sachzusammenhanges ist entsprechend § 1631 b BGB das Familiengericht zuständig.

Verfassungsrechtlich sind die Art. 2, 11 und 104 GG angesprochen. Danach sind für eine freiheitsentziehende Unterbringung rechtlich ein förmliches Gesetz, die Entscheidung durch einen Richter und die Beachtung des verfassungsrechtlichen Zitiergebotes erforderlich.

Bei Freiheitsentziehung muss das Gesetz, das das Grundrecht einschränkt, hier Art 2 und 11 GG zitiert werden. Dies ist durch Art. 20 des Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts geschehen. Nicht zitiert wurde Art. 104 GG. Hier ist es strittig, ob Art. 104 GG bei einer Freiheitseinschränkung zu zitieren ist. Befürworter halten daher § 42 SGB VIII/ KJHG für verfassungsrechtlich nicht ausreichend.

Im Übrigen findet sich in den §§ 27 und 34 SGB VIII/ KJHG keine Rechtsgrundlage für eine geschlossene, freiheitsentziehende Unterbringung.

Rechtsgrundlagen für eine geschlossene Unterbringung finden sich in den landesrechtlichen Unterbringungsgesetzen bzw. Psychisch-Kranken-Gesetzen.

Zivilrecht

Nach der derzeitigen Rechtslage darf eine Unterbringung von Kindern und Jugendlichen, die mit Freiheitsentzug verbunden ist, nur bei Vorliegen einer richterlichen Genehmigung erfolgen, § 1631 b BGB.

a) geschlossene Unterbringung auf „Wunsch“ der Eltern

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht ist, Art 6 GG.

Den Eltern obliegt das Personensorgerecht, welches gemäß § 1631 BGB insbesondere das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen umfasst.

Daher können die Personensorgeberechtigten ebenso wie der Vormund, § 1800 BGB bzw. der Personensorgerechtspfleger, § 1915 BGB im Rahmen des Aufenthaltsbestimmungsrechts eine geschlossene Unterbringung veranlassen.

Diese Freiheitsentziehung bedarf der Genehmigung des Familiengerichtes nach § 1631 b BGB.
Die Genehmigung nach § 1631 b BGB  ist keine Anordnung des Gerichtes, sondern eine nachträgliche Zustimmung des Gerichtes auf Antrag der Personensorgeberechtigten.
Sie soll das Kind  bzw. den Jugendlichen vor einer Abschiebung in ein geschlossenes Heim schützen und verspricht eine Orientierung am Kindeswohl, die Unterbringung mit Freiheitsentziehung als „ultima ratio“.

Für das Verfahren über Unterbringungsmaßnahmen gelten die §§ 70-70 n FGG. Ohne Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.

b) geschlossene Unterbringung bei Gefährdung des Kindeswohls

Bei Gefährdung des Kindeswohls bestehen gemäß §§ 1666, 1666a BGB familienrechtliche Eingriffsbefugnisse.

Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt unter Berücksichtigung des Milieus, in das das Kind hineingeboren ist, vor, bei begründeter, gegenwärtiger Besorgnis der Gefährdung  des körperlichen, geistigen oder seelischen Kindeswohls. Auch kurz zurückliegende oder nahe bevorstehende Gefährdungen genügen.

Die Gefährdung des Kindeswohls und ein damit einhergehendes  Erziehungsunvermögen der Eltern können sein:

  • Sorgerechtsmissbrauch oder
  • die Vernachlässigung des Kindes oder
  • ein unverschuldetes  Versagen der Eltern oder
  • durch das Verhalten eines Dritten

Sorgerechtsmissbrauch ist dabei das Ausnutzen der elterlichen Sorge zum Schaden des Kindes. Im einzelnen stellen Sorgerechtsmissbräuche z.B. dar:

    Selbstmordversuch mit Tötungsversuch am Kinde, körperliche Misshandlung des Kindes, übermäßige Züchtigung, jahrelange körperliche Misshandlung, Anhalten zum Betteln oder sonstigen strafbaren Handlungen, Abhalten vom Besuch der Schule

Eine Vernachlässigung des Kindes  kann vorliegen bezüglich der Wohnverhältnisse, Ernährung, Pflege und einer weitestgehenden Verwahrlosung.

    z.B durch Duldung des Herumtreibens, mangelhafter Beaufsichtigung auch des regelmäßigen Schulbesuches , Duldung ungünstiger Einflüsse Dritter

Unverschuldetes Versagen der Eltern wurde begrifflich deshalb erfasst, da es auch Fälle geben kann, in denen die Kindesgefährdung nicht auf ein Verschulden der Eltern zurückzuführen ist.
Kindeswohlgefährdung durch das Verhalten eines Dritten liegt vor bei gefährdenden Einflüssen von dritter Seite. Dies muss ausdrücklich festgestellt werden, um auch gegen den Dritten vorgehen zu können (§ 1666 Abs. 1 S.2 BGB).

     Bsp.Zuhälter, Rauschgiftsüchtige, Terroristen, ansteckende Krankheiten

Zusätzlich zur Kindeswohlgefährdung muss seitens der Eltern eine mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit zur Gefahrenabwehr von dem Kind vorliegen. Das ist dann der Fall, wenn die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Diese Voraussetzung muss zusätzlich vorliegen, um den Eingriff des Vormundschaftsgerichtes zu rechtfertigen und von diesem auch festgestellt werden.
Dabei stehen der vom bestimmten Willen getragenen Hilflosigkeit der Eltern deren Unwillen, ihrer fehlenden Einsicht oder bloßen Gleichgültigkeit völlig gleich. Es spielt keine Rolle, ob sie in der Lage, aber unwillig, oder willig, aber nicht in der Lage sind. Das Merkmal dient ausschließlich dazu, die Eltern ihres Erziehungsvorranges zur Selbsthilfe zu bewegen.

Als Folge kann dann als Maßregel die Entziehung der Ausübung der Personensorge und damit des Aufenthaltsbestimmungsrechtes ausgesprochen werden. Dabei können auch Erklärungen der Eltern durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden.

Dabei sind Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur dann zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann, so § 1666 a Abs. 1 BGB.

Damit ist im Kontext zum GG und KJHG die Freiheitsentziehung nur als „ultima ratio“ möglich.

2. Unterbringung von Jugendlichen

2.1. Zielgruppe

Zur Größe der Zielgruppe „Jugendliche“, die mit delinquenten Verhaltensweisen in Niedersachsen 2002 aufgefallen sind:

 

14 –16J

 16 bis unter 18J

Tatverdächtige Jugendliche

14745

15182

davon männlich

10405

11804

davon weiblich

4340

3378

Gesamttatverdächtige: 224.008
prozentualer Anteil der 14-16J: 6,58%
davon männlich: 70,57%
davon weiblich: 29,43%
prozentualer Anteil der 16 bis unter 18J: 6,78%
davon männlich: 77,75%
davon weiblich: 22,25%

Gliedert man die tatverdächtigen Jugendlichen nach Straftaten, so zeigt sich für das Jahr 2002 folgendes Bild:

 

Gesamt
14-16J

Jungen
14-16J

Mädchen
14-16J

Gesamt
16-18J

Jungen
16-18J

Mädchen
16-18J

Diebstahl (ohne erschwerende Umstände)

6700

4079

39,20%*

2621

60,39%*

5020

3479

29,47%*

1541

45,62%*

Diebstahl (unter erschwerenden Umständen)

1746

1551

14,91%

195

4,49%

1854

1694

14,35%

160

4,73%

Ladendiebstahl (klassisch)

4591

2381

22,88%

2210

50,92%

2948

1747

14,80%

1201

35,55%

Sachbeschädigung

2426

2116

20,34%

 310

 7,14%

2311

2131

18,05%

180

5,33%

Körperverletzung (vors. und leicht)

1434

1070

10,28%

364

8,39%

1557

1259

10,67%

 298

8,82%

schwere u. gefährl. Körperverletzung

 1407

1126

10,82%

281

6,47%

1789

1576

13,35%

213

6,31%

Raub, räub.Erpressung, Angriff auf Kraftfahrer

 548

490

4,71%

58

1,34%

603

547

4,63%

56

1,66%

Erpressung

  102

90

0,86%

12

0,28%

67

63

0,53%

4

0,12%

* prozentuales Verhältnis Gesamttatverdächtige zum Tatbestand auf z.B. Diebstahl etc. (10405 männl.TV, im Verhältnis zu 4079 TV, 4340 weibl. TV im Verhältnis zu 2621TV)

2.2 Rechtsgrundlagen

Innerhalb des Zivilrechtes und des öffentlichen Rechtes finden für Jugendliche ebenfalls die §§ 1666, 1666a BGB und § 42 Abs. 3 SGB VIII/ KJHG Anwendung.

Da ab dem 14. Lebensjahr Strafmündigkeit besteht, kann eine geschlossene Unterbringung auch aufgrund des Strafrechtes erfolgen.
Dabei muss zwischen der strafrechtlichen Sanktion einerseits und dem Erziehungsgedanken andererseits strikt getrennt werde.

Vorläufige Anordnung über die Erziehung, § 71 JGG

Eine einstweilige Unterbringung in einem geeigneten Heim für den Jugendlichen kann seitens des Gerichtes dann angeordnet werden, wenn dies auf die zu erwartende Maßnahme geboten ist, um den Jugendlichen vor einer weiteren Gefährdung seiner Entwicklung, insbesondere der Begehung neuer Straftaten, zu bewahren ( §71 Abs. 2 JGG)

Zusätzlich zu den allgemeinen Voraussetzungen einer Anordnung nach Absatz 1

  • Verdacht einer Verfehlung
  • Prognose, keine Verfahrenseinstellung nach §§ 45, 47 JGG
  • erzieherische Belange, nur bei andauernder Beeinträchtigung
  • ein Abwarten bis zum Urteil ist nicht zumutbar

muss der Verdacht noch gesteigert sein und eine erzieherische Notwendigkeit bestehen, den Jugendlichen vor „weiterer Gefährdung seiner Entwicklung“ zu bewahren.

Eine solche  Notwendigkeit kann sich insbesondere aus einer durch hinreichende Anhaltspunkte  belegten (Wiederholungs-) Gefahr der Begehung neuer Straftaten ergeben.

Es muss jedoch ein spezifischer Zusammenhang zwischen wiederholten Straftaten und der Entwicklungsgefährdung erkennbar sein. Aus diesem Grund findet bei Bagatellen, Straftaten mit einmaligem Charakter bzw. jugendtypischer Art § 71 JGG keine Anwendung.

Repressive Gesichtspunkte scheiden bei der Anordnung der vorläufigen Maßnahme aus, denn Sinn und Zweck des § 71 JGG ist es, die auch im Jugendstrafverfahren innewohnenden erzieherischen Ziele im Zeitraum des Urteils zu sichern. Zudem muss die Anordnung auch im Hinblick auf die zu erwartende Maßnahme geboten sein. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn Jugendstrafe zu erwarten ist. Die Unterbringung kann nur als zeitlich, begrenztes Mittel angeordnet werden (Subsidiaritätsprinzip).

Das Vorhandensein eines geeigneten Heimes bleibt dabei der Jugendhilfe überlassen.

Die Eignung des Heimes richtet sich nach dem Ziel, durch erzieherische Beeinflussung (Therapie) die Wiederholung von Straftaten zu verhindern. Wenn aus sozialpädagogischer Sicht geschlossene Heime hierzu nicht geeignet sind, bleiben nur offene Heime als geeignet übrig.

Vereinzelt wird sogar ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf die Alternative der geschlossenen Heimunterbringung behauptet. Keineswegs ist umgekehrt als geeignetes Heim lediglich ein fluchtsicheres zu verstehen.

Eine fluchtsichere Unterbringung ist nicht Voraussetzung.

Da die Heime ganz unterschiedlich organisiert sind und sich nicht in die Schablone „offen-geschlossen“  einpassen lassen, hat das Gericht eine Auswahl zu treffen und das Erziehungsheim konkret zu bezeichnen.
In § 71 Abs. 2 S. 3 JGG wird klargestellt, dass die Ausführung der einstweiligen Unterbringung sich nach dem für das Heim der Jugendhilfe geltenden Regelungen richtet.
Die Entscheidung steht im richterlichen Ermessen, kann sich aber zur Vermeidung der Untersuchungshaft zu einer Verpflichtung verdichten.

Untersuchungshaft

Eine weitere Kategorie der geschlossenen Unterbringung ist die Untersuchungshaft (§ 72 JGG). Die Untersuchungshaft soll hier nicht weiter abgehandelt werden. Sie kann jedoch durch die Heimeinweisung vermieden werden.

Unterbringung in einem Heim

Nach § 72 Abs. 4 JGG kann zur Vermeidung des Vollzugs der Untersuchungshaft unter den selben Voraussetzungen, unter denen ein Haftbefehl erlassen werden kann, die einstweilige Unterbringung in einem Heim der Jugendhilfe (§ 71 Abs. 2) angeordnet werden.
Voraussetzung ist hierfür neben dem dringenden Tatverdacht, das Vorliegen eines Haftgrundes nach §§ 112 Abs. 2, 3 und 112a StPO.
Selbst bei Vorliegen eines Haftgrundes darf Untersuchungshaft nur verhängt und vollstreckt werden, wenn ihr Zweck nicht durch eine vorläufige Anordnung über die Erziehung oder durch andere Maßnahmen erreicht werden kann (Verhältnismäßigkeit).

Wegen der Nähe zur Untersuchungshaft ist lange Zeit – wie ursprünglich auch vom Gesetzgeber vorgesehen- mit dem Heim der Jugendhilfe eine geschlossene fluchtsichere Unterbringung verbunden worden.
Es darf nicht übersehen werden, dass § 72 Abs.1 S. 2 JGG nicht auf § 119 StPO verweist. Die Ausführungen der einstweiligen Unterbringung richten sich deshalb nach § 71 Abs. 2 S. 3 JGG. Das Heim der Jugendhilfe  muss deshalb weder baulich gesichert noch „fluchtsicher“ sein. Dies wird weder nach dem JGG noch nach dem KJHG/ SGBVIII gefordert, kann jedoch auch nicht ausgeschlossen werden (pädagogisches Konzept).

Die Verhängung freiheitsentziehender Rechtsfolgen (Arrest und Jugendstrafe)

Der Vollständigkeit halber sei hier noch der Jugendarrest (§ 16 JGG) und die Jugendstrafe (§ 17 JGG) angesprochen.
Die Vollstreckung des Arrestes (Freizeit-, Kurz- bzw. Dauerarrest) bzw. der Jugendstrafe richtet sich nach den §§ 82 bis 87 JGG und der Vollzug nach § 90ff. JGG.
Danach wird der Arrest in  Jugendarrestanstalten oder Freizeitarresträumen der Landesjustizverwaltung vollzogen und die Jugendstrafe in Jugendstrafanstalten.
Diese sind von geschlossenen Heimen allein aufgrund der Intention hin zu unterscheiden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen werden soll.
 

3. Zusammenfassung (aus rechtlicher Sicht)

Die geschlossene Unterbringung ist bei Gefährdung des Wohles des Kindes und Jugendlichen unter den genannten Voraussetzungen möglich (§ 42 Abs. 3 SGB VIII/ KJHG und nach § 1666, 1666a BGB).

Jugendliche können auch einstweilig nach § 71 Abs. 2 JGG in einem geeigneten Heim untergebracht werden. Dies muss nicht, kann aber geschlossen sein (je nach Konzept der Jugendhilfe).

In beiden Fällen sind die Voraussetzungen sehr eng gefasst und die (geschlossene) Heimunterbringung ist als „ultima ratio“ anzusehen.
 

IV. Fazit

Auf Grund der rechtlichen Bewertung und der praktischen Erkenntnisse aus den beiden Einrichtungen ist Gegnern einer geschlossenen Unterbringung entgegenzuhalten, dass es sich dabei weder um das „Wegsperren“ einer problematischen Klientel noch um ein Regulativ für eine wegen ihrer Strafunmündigkeit strafrechtlich nicht zu erreichende Zielgruppe handelt.
„Es geht bei der geschlossenen Unterbringung im Kontext von Hilfe zur Erziehung – also eine Leistung im Leistungskatalog des Kinder- und Jugendhilferechts, deren Zielsetzung sich am Programm des § 1 Abs. 1 SGB VIII ergibt: Dem Recht auf Erziehung und auf Förderung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“.

So formuliert die Sachverständigenkommission zum 11. Kinder- und Jugendbericht:
Trotz der in einer Reihe von Studien empirisch gut belegten Negativfolgen geschlossener Unterbringungen (vgl. u.a. Woltersdorff u.a. 1996), der dadurch erzeugten pädagogischen Widersprüche und der problematischen Sogeffekte geschlossener Einrichtungen kann deshalb in wenigen, sehr seltenen Konstellationen zeitweilige pädagogische Betreuung in einer geschlossenen Gruppe eine dem jeweiligen Fall angemessene Form der Intervention sein.

Darüber hinaus formuliert Wiesner deutlicher: „Es erscheint an der Zeit, dass die Jugendhilfe sich ihrer Verantwortung für alle Kinder bewusst wird und sich nicht länger hinter rechtlichen Gutachten zu einer Frage, die gar nicht ihren Verantwortungsbereich betrifft und deren Implikationen zudem anfechtbar sind, versteckt. Mit einer generellen Absage an geschlossene Unterbringung nimmt sie in Kauf, dass eine nicht unwesentliche Zahl von Kindern und Jugendlichen auf der Strecke bleibt und vom gesellschaftlichen Integrationsprozess ausgeschlossen wird“.

Diesen in ihrer Deutlichkeit nicht mangelnden Feststellungen ist wenig entgegenzusetzen, ihnen kann aus polizeilicher Sicht in vollem Umfang zugestimmt werden.
„Für eine kleine Anzahl straffälliger Kinder muss die geschlossene Unterbringung auch in Niedersachsen möglich sein. „Lediglich in wenigen Einzelfällen seien Kinder so stark desintegriert, dass sie für sich selbst und andere eine Gefahr darstellen“.

Wenn auch die eingangs gestellte Frage, ob in Niedersachsen ein Bedarf an Plätzen für eine geschlossene Unterbringung gegeben ist, noch nicht in absoluten Zahlen zu beantworten ist, so kann sie aber grundsätzlich mit „Ja“ beantwortet werden. Im Zuge einer noch besseren Kooperation von Jugendhilfe, Justiz, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Polizei sollte es gelingen, sich in der Diskussion wie praktischen Umsetzung mehr von der Maxime „zum Wohl des Kindes“ leiten zu lassen.

Winfried Bodenburg, EPHK, Landesbeauftragter für Jugendsachen
Carola Gustedt, PK‘in, Dipl. Soz.- Päd.
Kathleen Hirt, PR` in z.A.

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