FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2008

 

Kinderrechte ins Grundgesetz ?!

Eine Diskussion auf politischem Hintergrund

von U. Schöke

 

Zur Sitzung des Bundesrats am 04.07.2008 wurde durch das Bundesland Bremen ein Entschließungsantrag1 eingereicht, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen. Absicht dabei ist, Grundrechte von Kindern als Norm zu begreifen und das Bewusstsein hierfür tief in der Gesellschaft zu verankern.

Das Grundgesetz enthält bislang kein eigenständiges Grundrecht für Kinder.
Kinder werden nur indirekt im Grundgesetz Art. 6 Abs. 2 erwähnt: “Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. (...)“

In den politischen Lagern und Bundesländern gehen die Meinungen über die Notwendigkeit eines solchen Eingriffs in unsere Verfassung auseinander.

Befürworter einer Grundgesetzänderung2, 3
Das Bundesverfassungsgericht1 hat durch sein Urteil vom 1. April 2008 bestärkt, dass Kinder nicht – wie Art. 6 Abs. 2 suggeriert – allein als Subjekte der Rechtssprechung und Rechtsausübung der Eltern verstanden werden dürfen, sondern dass sie wie jeder Mensch ein Recht auf Menschenwürde haben und ihr Wohl nicht ignoriert werden soll.

Die UN-Kinderrechtskonvention4, die seit dem 20.11.1989 als völkerstaatliche Vereinbarung Gültigkeit besitzt, formuliert explizit die Rechts- und Würdeträgerschaft eines Kindes. Es bedarf eines besonderen Schutzes aufgrund seiner Entwicklungsbedürftigkeit bis zur Volljährigkeit mit dem vollendeten 18. Lebensjahr.

Deutschland hat sich mit der Ratifizierung dieses Übereinkommens und seinem Inkrafttreten seit dem 05.04.1992 erklärt, alle erforderlichen gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung zu schaffen.5

Viele Nicht-Regierungs-Organisationen, Verbände und Persönlichkeiten aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen haben sich mit dem Ziel der Bekanntmachung der UN-Kinderrechtskonvention und der Umsetzung in Deutschland zusammen geschlossen und arbeiten als National Coalition6 unter der Schirmherrschaft des amtierenden Bundestagsvizepräsidenten Dr. h.c. Wolfgang Thierse. Das Aktionsbündnis Kinderrechte7 sammelt zur Unterstützung auf einer eigens hierfür eingerichteten Homepage Unterschriften.

Im Mai 2008 erhielten sämtliche Abgeordnete des Deutschen Bundestages durch die National Coalition ein Schreiben mit Argumentationen bei Einwänden, mit der Bitte, sich politisch für eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz auszusprechen.6
Trotz schlagkräftiger Argumente stoßen Befürworter einer Grundgesetzänderung jedoch auf deutliche Widerstände.

Gegenstimmen einer Grundgesetzänderung 8, 9
Einwand: Das Grundgesetz sollte nicht leichthin geändert werden. Es ist ausreichend, wie auch einige Bundesländer meinen, Kinderrechte als Staatsziel zu formulieren.

Stellungnahme: Staatsziele sind Absichtserklärungen, die im Zweifelsfall nicht rechtsverbindlich sind. Die Verfassung hingegen ist im Letzten Leitlinie für alle nach geordneten Gesetze und rechtlichen Entscheidungen.

Einwand: Die Rechte des Kindes werden durch das Grundgesetz (Art. 1) bereits ausreichend geschützt.

Stellungnahme: Kinder sind keine Erwachsenen. Sie benötigen zur Wahrung ihrer Rechte kindgerechte Bedingungen, die ihrem Entwicklungsstand angemessen sind. Dieses wird im Grundgesetz bislang nicht ausreichend berücksichtigt.

Einwand: Das Grundgesetz hat sich in der heutigen Form bewährt.

Stellungnahme: Insbesondere die in Art. 6 auch gegenüber dem Staat hervortretenden Rechte der Eltern sollten auf dem historischen Entstehungshintergrund der Nachkriegszeit neu beurteilt werden. Hier wäre es wichtig, durch eine Grundgesetzänderung eine GLEICH-be-RECHT-igte Verhältnismäßigkeit der Rechte von Eltern – Kind – Staat, im Sinne eines gleichschenkligen Dreiecks, herzustellen.

Einwand: Eine Änderung des Grundgesetzes hat nur Symbolcharakter, bringt keine praktischen Verbesserungen für Kinder.

Stellungnahme: Natürlich ist es illusorisch zu meinen, eine Grundgesetzänderung würde alles auf einen Schlag verändern. Oft braucht es einen langen Zeitraum, damit praktische Verbesserungen sichtbar werden. Als die Gleichberechtigung für Mann und Frau in den fünfziger Jahren als Artikel ergänzt wurde, sah die Wirklichkeit anders aus. Erst heute, nach vielen Jahrzehnten des Ringens, ist eine Integration bis in die unterste Ebene der Gesetzgebung erfolgt und die Auswirkungen sind praktisch sichtbar. Dank des Grundgesetzes.

Gedanken zur aktuellen Politik
In der EU hat man während der deutschen Ratspräsidentschaft über die Beteiligung von Kindern an Entscheidungsprozessen nachgedacht und am 04. Juni 2007 das Forum für die Rechte des Kindes gegründet10. Am 03.12.2007 wurden die Leitlinien der EU für die Förderung und den Schutz der Rechte des Kindes herausgegeben und im Mai 2008 ergänzt11.

"Die Bundesregierung arbeitet intensiv daran, die Forderungen der Kinderrechtskonvention in Deutschland zu verwirklichen", heißt es in der Publikation Nationaler Aktionsplan (NAP) „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005 – 2010“ 12 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Das entspricht den Tatsachen. In den letzten Monaten schockten uns nahezu täglich Presseberichte über die Missachtung von Kinderrechten. Gleichzeitig wurde auch manches Gesetz auf den Weg gebracht, das direkt oder indirekt dem Kindeswohl dient. 13

Besteht bei diesem Ansatz aber nicht die Gefahr, dass man das Ganze aus den Augen verliert? Würde eine Verfassungsänderung nicht allen Gesetzesabsichten einen würdigen Rahmen, ein stabiles Fundament geben? Könnte eine Änderung des Grundgesetzes, die weit in die Gesellschaft hineingebracht wird, nicht mit dazu beitragen oder auch dazu anregen, Gesellschaft anders, Kind gerechter zu denken und zu leben?

Vielleicht würden wir feststellen, dass wir durch die Integration und die Teilhabe unserer Kinder in alle und an allen Lebensbereichen vollkommen neue Visionen für unsere Gesellschaft entwickeln könnten? Für die Gestaltung unserer Lebensräume, die Entwicklung guter Kindergärten, Schulen, Ausbildungs- und Arbeitsstätten, politische Entscheidungen und vieles mehr.14

Der Antrag Bremens im Bundesrat stand als 71. und somit drittletztem TOP auf der Tagesordnung und wurde zur Beratung in die Fachausschüsse überwiesen.
Es bleibt zu hoffen, dass das Thema bei allen, insbesondere allen Verantwortungs- und Entscheidungsträgern weiter oben auf der Agenda steht und stärker im Bewusstsein ist und bleibt!

Letztlich sollte der Blick auf politische Initiativen und Hindernisse nicht ablenken von den Möglichkeiten und der Verantwortung jedes Einzelnen. Meinungsäußerungen und Taten in den verschiedensten Bereichen sind gefragt! Wegschauen beginnt nicht erst dann, wenn Kindeswohl bedroht ist.

Werden (Lokal-)Politiker zu dem Thema nur durch besondere Initiativen motiviert? Sind es wirklich nur 15454 Stimmen7 die „laut“ werden, wenn es um die Rechte von Kindern und damit das Kindeswohl geht?

Ich hoffe es für unsere Kinder, unser Land und unsere Zukunft nicht!

Ich habe einen Traum,...

  • dass jedes Kind in unserem Land von allen und uneingeschränkt die Achtung seiner Würde erfährt,
  • dass jedes Kind alle erforderlichen Möglichkeiten erhält sich zu entwickeln,
  • dass jedes Kind im Schutz und mit Hilfe einer verantwortungsvoll gelebten Elternschaft und gesellschaftlichen Unterstützung aufwachsen und dabei seine Persönlichkeit entfalten kann,
  • dass jedes Kind vor jeglicher Gewalt in seiner Kindheit und Erziehung bewahrt und vor Vernachlässigung und Ausbeutung geschützt sein möge,
    um zu einem mündigen, selbständig und selbstverantwortlich handelnden und die Gesellschaft freiheitlich und geschwisterlich mitgestaltenden Menschen heranreifen zu können,

und ich wünsche mir, dass viele diesen Traum teilen und an der Realisierung mitwirken.

Eine Bürgerin, die über das Thema Kindeswohl in unserem Land nachgedacht und recherchiert hat.

 

Quellen:

1 Entschließungsantrag Bremens vom 24.07.2008: http://www.soziales.bremen.de/sixcms/media.php/13/080624__Erschliessungsantrag_Kinderrechte.pdf

2 Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 9. April 2008 in Berlin
„Machen wir`s den Kindern Recht?! Rechtspolitische Impulse für ein kindergerechteres Deutschland“ Impulsvortrag des Fachforums 1: „Eltern- versus Kinderrecht – Rechtsnormen im Widerstreit?“
Prof. Dr. Siegfried Willutzki
Ehrenvorsitzender des Deutschen Familiengerichtstages, Direktor des Amtsgerichts Brühl a.D.
http://www.fes-forumberlin.de/Bundespolitik/pdf/Impulsvortrag_Prof._Dr._Willutzki.pdf

3 Grundsatzpapier des Aktionsbündnis Kinderrechte
http://www.kinderrechte-ins-grundgesetz.de/fileadmin/kinderrechte/grundsatzpapier.pdf

4 UN-Kinderrechtskonvention vom 20.11.1989
http://www.national-coalition.de/pdf/UN-Kinderrechtskonvention.pdf

5 BMFSFJ vom 27.02.2006 mit Link zu:
2. Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland und
UN-Anmerkungen; siehe insbesondere Seite 2, Punkt 10 vom Januar 2004
http://www.bmfsfj.de/Politikbereiche/kinder-und-jugend,did=19892.html

6 National Coalition
http://www.national-coalition.de/
Anschreiben Abgeordnete mit möglichen Einwänden und Stellungnahmen
http://www.national-coalition.de/pdf/Kinderrechte_in_die_Verfassung.pdf

7 Aktionsbündnis Kinderrechte (Stand 15.07.2008)
http://www.kinderrechte-ins-grundgesetz.de

8 Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage einiger Abgeordneter zur
Rücknahme der Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskonvention vom 13.07.2007
http://dip.bundestag.de/btd/16/060/1606076.pdf

9 Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder (Kinderkommission)
Öffentliches Expertengespräch zum Thema „Kinderrechte in die Verfassung“
Wortprotokoll vom 20.11.2006; mit Teilnahme von Bundesministerin Fr. Dr. Ursula von der Leyen
http://www.bundestag.de/ausschuesse/a13/kiko/Anhoerungen/Kinderrechte_in_die_Verfassung/Protokoll.pdf (Bedeutung der Kinderkommission: Das Parlament; Nr. 17 / 21.4.2008)
http://www.bundestag.de/dasparlament/2008/17/innenpolitik/20213933.html

10 Europäisches Forum für die Rechte des Kindes (Gründung 04.06.2007)
http://www.bmj.bund.de/enid/0,b765cc6d6f6e7468092d093036093a0979656172092d0932303037093a09706d635f6964092d0934343834/ Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html
Weitere Informationen:
http://www.kindernothilfe.de/Rubriken/Themen/News/Neues+EU_Forum+f%C3%BCr+Kinderrechte+gegr%C3%BCndet_+Interview.html

11 Leitlinien der EU für die Förderung und den Schutz der Rechte des Kindes (03.12.2007)
http://consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/16031.de07.pdf
Mehr Schutz für Kinder! Europäische Außenminister bekräftigen Kinderrechte (vom 26.05.2008)
(Quelle: Rat der Europäischen Union, 08.06.2008)
http://www.jugendpolitikineuropa.de/news-477.html
Ergänzung der Leitlinien (vom 26.05.2008):
http://www.eu-jugendpolitik.de/downloads/22-177-574/Kinderrechte_au%DFen.pdf

12 BMFSFJ vom 01.06.2006:
Nationaler Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005 – 2010“
http://www.bmfsfj.de/Kategorien/Publikationen/publikationsliste,did=76550.html

13 z.B.: Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls Bundesrat, 02.05.08, Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages, Drucksache 281/08
https://www.umwelt-online.de/PDFBR/2008/0281_2D08.pdf

14 z.B.: Der Europäische Pakt für die Jugend - Ein Pakt für die Jugend in Deutschland (28.04.2008)
http://www.jugendpolitikineuropa.de/downloads/22-177-562/pakt_end.pdf

 

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