FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2009


zu dem Artikel “Die andere Meinung: Gefahren für das Kindswohl durch missverständliche Arbeitshilfe zum Kinderschutz in Kindertageseinrichtungen” von Rainer Becker schreibt uns Norbert Struck vom PARITÄTISCHEN Gesamtverbandes folgende Stellungnahme:

 

Vom kleinen Unterschied der Kinderschutzarbeit
von Erzieherinnen und Polizisten:

Eine Entgegnung auf die „andere Meinung“
des Polizeidirektors Rainer Becker
zur Arbeitshilfe des PARITÄTISCHEN Gesamtverbandes
 mit einer kleinen Bresche für’s Nachdenken vorm Handeln

von Norbert Struck
Jugendhilfereferent des PARITÄTISCHEN Gesamtverbandes

 

Auf der Homepage der AGSP hat Polizeidirektor Rainer Becker seine „andere Meinung“ kundgetan, die darin besteht, dass die Arbeitshilfe des PARITÄTISCHEN Gesamtverbandes zum Kinderschutz in Kindertageseinrichtungen missverständlich sei und deshalb Gefahren für das Kindeswohl berge.
Wenn dem so wäre, wäre das natürlich gravierend. Aber wir können gleich zu Anfang Entwarnung geben: Die Broschüre ist weder missverständlich noch birgt sie Gefahren für das Kindeswohl.
Herr Becker selbst produziert ein „Missverständnis“, für das die Broschüre selbst keinen Anlass gibt. Präziser gesagt: er baut sich einen Pappkameraden auf, auf dem er dann herumhackt.

Wir haben betont: „Ob gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung anzunehmen sind oder nicht, kann man nur im jeweiligen Einzelfall entscheiden.“ Und führen dann weiter aus: „Aber die folgende – von der Behörde in Hamburg verwendete – Liste von Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung, erscheint uns die präziseste Orientierungshilfe zu sein, die bisher erarbeitet wurde: Die nachfolgend aufgeführten Anhaltspunkte sind keine abschließende Auflistung, sie erfassen nicht alle denkbaren Gefahrensituationen.“

Aus sprachlich und sachlich unerfindlichen Gründen legt Herr Becker sich den Sachverhalt so zurecht, dass er davon spricht, wir hätten die „denkbaren Gefährdungssituationen“ als „Regelfälle dargestellt“ – ein Wort das es in der Arbeitshilfe nicht gibt – „bei denen (nur) in Ausnahmefällen bei >unmittelbarer und akuter< Gefährdung für ein Kind oder den Jugendlichen, eine sofortige Einbeziehung des Jugendamtes nahe gelegt wird.“ In unserer Arbeitshilfe geht es jedenfalls nicht um Regel- und Ausnahmefälle sondern um Einzelfälle, auf die hin bezogen die Anhaltspunkte zu bewerten sind.

Was den Herrn Polizeidirektor stört, ist die auch in § 8a SGB VIII vorgesehene Reflexion der Wahrnehmungen. Als Mann der Tat, orientiert am Gefahrenbegriff des behördlichen Ordnungsrechts, orientiert er sich am Schema „Wahrnehmen – Herausnehmen“ und betont, dass ein „Polizeivollzugsbeamter“, der ein Kind in einer der Hamburger Liste erwähnten Situationen „nicht sofort zu seinem Schutz in Gewahrsam nehmen würde, hätte mit einem Strafverfahren mindestens wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 229 StGB in Verbindung mit § 13 StGB (Handeln durch Unterlassen) zu rechnen“. (S. 4)

Dazu ist zweierlei zu sagen: 1. das stimmt nicht und 2. eine Kindergartenerzieherin ist keine Polizistin.

Die Aussage stimmt nicht, weil die zitierte Hamburger Liste zwar auch sehr akute und relativ eindeutige massive Gefährdungen beschreibt, aber eben auch eine ganze Reihe von Situationen beschreibt, die sehr interpretationsbedürftig sind, weil zum einen die meisten Kriterien sich auf die Häufigkeiten und Intensitäten des Auftretens der Merkmale beziehen und zum anderen Kriterien auf sehr komplexe Situationen abstellen („Obdachlosigkeit“ „verängstigtes Verhalten des Kindes“ „Isolierung des Kindes“, „Verweigerung der Krankenhausbehandlung“…). Insofern stellen sich die Situationen auch für Polizeivollzugsbeamte nicht in der vom Herrn Polizeidirektor suggerierten Eineindeutigkeit dar – auch sie wären vorm Handeln zur Reflexion gezwungen und würden sich dadurch keinem strafrechtlichen Risiko ausgesetzt sehen.
Irgendwie ist dem Autor im Eifer der rettenden Tat dann auch die Kenntnis abhanden gekommen, dass wir keine Arbeitshilfe zu § 171 StGB  (Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht) für Polizeivollzugsbeamte geschrieben haben, sondern eine Arbeitshilfe für ErzieherInnen in Tageseinrichtungen für Kinder zur Umsetzung des Schutzauftrags der Kinder- und Jugendhilfe. In diesem Rahmen gehen sie tagtäglich mit den ihnen anvertrauten Kindern um und werden nicht zum Einsatz gerufen!
Sie sollten ihre Wahrnehmungen zu möglichen Kindeswohlgefährdungen sehr wohl kollegial und unter Hinzuziehung von spezieller Expertise reflektieren - das sieht das SGB VIII so vor – und das ist auch sinnvoll.

Dabei wird auch von uns ja explizit hervorgehoben:

Wichtiger Hinweis:
Besteht eine unmittelbare und akute Gefährdung für das Kind oder den Jugendlichen, bzw. würde eine solche Gefährdung durch die in >Schritt 5< vorgesehene Information der Personensorgeberechtigten mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgelöst, ist eine sofortige Information des zuständigen Jugendamtes einzuleiten.“
(S. 8, Hervorhebungen im Original)

Pikant ist, dass der Polizeidirektor Rainer Becker Vorsitzender des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern der „Deutschen Kinderhilfe direkt“ ist, einem Verein, dessen höchst problematische – weil gegen die Jugendämter gerichtete - Kinderschutzarbeit ich schon in Heft 1/2008 der Zeitschrift Forum Erziehungshilfen kommentiert hatte. Und ausgerechnet aus diesem Verein ertönt nun als Fazit die Stimme: „Grundsätzlich ist das Jugendamt sofort zu informieren, und eben nicht nur in Ausnahmefällen nicht.“

Wann das Jugendamt von einer Kindertageseinrichtung zu informieren ist, darüber informiert § 8a Abs. 2 SGB VIII und die Arbeitshilfe des PARITÄTISCHEN – und keine gedankenlose Propaganda der rettenden Tat.

 

Eine Antwort auf die Replik von Norbert Struck

von Rainer Becker

Ein Mitarbeiter des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes hat reagiert. Dies ist vor dem Hintergrund, dass der Paritätische Wohlfahrtsverband Angebote des Verfassers auf eine Diskussion zum Thema bis dato ignoriert hat, zunächst einmal etwas Positives.
Nicht nachvollziehbar ist der von Herr Struck gewählte Stil.
Im fachlichen Streit war es bislang üblich, zu versuchen, Fachargumente mit Fakten und eben besseren Fachargumenten zu widerlegen.
Dies ist in der Replik von Herrn Struck eher nicht der Fall.
Herr Struck beginnt - neben der weniger Fachkundige vielleicht ablenkenden Polemik - mit der Behauptung, dass die zitierte Broschüre seines Verbandes nicht missverständlich sei.

Einen Beleg bleibt er schuldig, und vor allen Dingen können - und sollten - Interessierte, die es noch nicht getan haben, in der erwähnten Arbeitshilfe nachlesen.
Eine überproportional lange Abfolge von Ausnahmefällen erweckt nun einmal den Eindruck, es handele es sich hierbei um Regelfälle.
Und wenn jemand etwas aus Sicht des Absenders falsch versteht, sollte dies immer ein Indiz für den bzw. die Verfasser sein, dass das, was vermittelt werden soll, anders aufgebaut oder ausgedrückt werden sollte, damit es so verstanden wird, wie es gemeint ist und Missverständnisse vermieden werden können.

Es ist die Aufgabe eines Absenders, seine Informationen adressatengerecht aufzubereiten und nicht umgekehrt. Und hieran ändert es auch nichts, einen Adressaten zu beschimpfen.

Zu den folgenden Ausführungen „Wahrnehmen-Herausnehmen“ ist zu konstatieren, dass erneut lediglich behauptet und nicht belegt wird. Wenn man dann die etwas konkreteren Aussagen von Herrn Struck zu „Obdachlosigkeit, verängstigtem Verhalten des Kindes, Isolierung des Kindes, Verweigerung der Krankenhausbehandlung …“ anschaut, ist zunächst festzustellen, dass die angeführte Obdachlosigkeit in Zusammenhang mit einem Kita-Kind sich nicht logisch erschließt.

Zum anderen wurden die weiteren angeführten Merkmale aus dem Zusammenhang des Kataloges herausgetrennt, so dass der interessierte Leser erneut am besten selber nachlesen und seinen eigenen Eindruck gewinnen möge.
Beim Bekanntwerden des Verweigerns einer Krankenhausbehandlung nicht das Jugendamt zu informieren, bestätigt der Verfasser erneut in seiner anderen Meinung. Der hervorgehobene „Wichtige Hinweis“ für die betroffenen Erzieher ist ein eher „zweischneidiges Schwert“.

Geht ein Fall gut aus, kann man feststellen, dass ja alles im Sinne der Arbeitshilfe richtig gemacht wurde. Kommt ein Kind zu Schaden, kann auf diesen Hinweis verwiesen werden, um festzustellen, dass es sich bei diesem Fall ja um eine unmittelbare und akute Gefährdung gehandelt hatte, und dass natürlich das Jugendamt zu informieren gewesen wäre. Die Verantwortung läge damit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kita und auf keinen Fall bei den Verfassern der kritisierten Arbeitshilfe.

„Pikant“ ist der Hinweis von Herrn Struck, dass der von ihm kritisierte Verfasser Vorsitzender des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern der Deutschen Kinderhilfe e.V. ist. Dies ist übrigens ein eigenständiger Landesverband und etwas anderes als der von Herrn Struck benannte Bundesverband der Deutschen Kinderhilfe e.V.

Doch was hat dies mit einer veröffentlichten „anderen Meinung“ zu tun?

Und gelegentliche Kritik auch an Jugendämtern hat darüber hinaus nichts mit der Beurteilung einer Rechtslage und einem Appell, mit den Jugendämtern zu kooperieren, zu tun. Im Übrigen gibt es im Land Mecklenburg-Vorpommern trotz gelegentlicher anderer Auffassungen in aller Regel eine sehr gute Zusammenarbeit sowohl zwischen Jugendämtern und der Polizei als auch den Jugendämtern und der Deutschen Kinderhilfe e. V. Landesverband Mecklenburg-Vorpommern.

Dies mag vielleicht auch daran liegen, dass man hier offen ist für andere Gedanken, den anderen respektiert und andere Auffassungen toleriert. Der von Herrn Stuck gewählte Begriff der „gedankenlosen Propaganda der rettenden Tat“ entspricht erneut einem Umgang mit Andersdenkenden, der hier nicht üblich ist und auch anderswo nicht üblich sein sollte.

Im sachlichen Streit sollte es doch darum gehen, den anderen zu überzeugen, statt zu versuchen, ihn und seine Gedanken klein zu machen. Bei dem veröffentlichten Fachaufsatz handelte es um eine andere Meinung.

Herr Struck hat diesbezüglich eine andere eigene Meinung.
Er hat sich Gedanken gemacht, und dies war auch gut so.
Und dies gilt es - was den Inhalt angeht - zu respektieren – allen persönlichen Anwürfen zum Trotz.

 

 

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