FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2009

 

Kinder schützen - Familien unterstützen!

Ein Tagungsbericht über Kinderschutz
ohne ein (neues) Kinderschutzgesetz

von Kerstin Landua

 

Am 18. und 19. Juni 2009 veranstaltete die Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe im Deutschen Institut für Urbanistik im Ernst-Reuter-Haus in Berlin die Fachtagung „Vom Willkommensbesuch zum verpflichtenden Hausbesuch. Veränderte Auftragslage durch das Kinderschutzgesetz?“. 180 interessierte Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe bundesweit folgten dieser Einladung, obwohl klar war, dass bis zu diesem Zeitpunkt das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen sein wird. Am Vorabend der Tagung stand dann aber endgültig fest, dass dem Veranstalter der eigentliche Tagungsgegenstand, das (neue) Kinderschutzgesetz, verloren gegangen ist und sich damit auch das Einführungsreferat zum Tagungsthema (fast) erledigt hat. Was tun? Die naheliegende Lösung war, gemeinsam eine praxisnahe Fachdebatte zu den aktuell diskutierten Fragestellungen des Kinderschutzes zu führen.

Bruno Pfeifle, Leiter des Jugendamtes Stuttgart und Beiratsvorsitzender der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe, verwies in seiner Eröffnungsrede dann auch darauf, dass bei der aktuellen Debatte rund um das Kinderschutzgesetz insbesondere der „verpflichtende Hausbesuch“ derzeit fachpolitisch kontrovers diskutiert werde. Auch er sei der Auffassung, dass eine generelle Verpflichtung der Jugendämter zu Hausbesuchen den Kinderschutz nicht erhöhe, sondern von Fall zu Fall sogar das Gegenteil bewirken könne. Ein Hausbesuch müsse auch im „Kinderschutzfall“ an fachlichen Überlegungen ausgerichtet sein und solle nicht allein aufgrund gesetzlicher Verpflichtung erfolgen. In diesem Kontext regte er an, gemeinsam darüber zu diskutieren, „ob wir, die in der Kinder- und Jugendhilfe tätigen Fachkräfte, den (erst 2005 neu geschaffenen) § 8a SGB VIII als eine wirksame Hilfe im Kinderschutz empfinden, der uns die Handlungs- und Kooperationsspielräume in der Praxis einräumt, die für einen effektiven Kinderschutz notwendig sind“.

Örtliche Fallpraxis, Risikomanagement und ein Bundeskinderschutzgesetz
Zu diesem Thema referierte Prof. Dr. Christian Schrapper, Universität Koblenz-Landau, er gliederte seinen Vortrag in drei Teile:

  • „Örtliche Fallpraxis“ (drei Fälle aus 15 Jahren)
  • Fehleranalyse und Risikomanagement im Kinderschutz
  • Wozu weitere bundesgesetzliche Regelungen zum Kinderschutzgesetz?

Die örtliche Fallpraxis, die er im Plenum vorstellte, sei eher misslungene Fallpraxis. Er erinnerte daran, dass der Tod des Mädchens Laura-Jane 1994 in Osnabrück die Initialzündung für eine langjährige Debatte über die Garantenstellung und Garantenpflicht in der Praxis gewesen sei. Eine Debatte insbesondere darüber, was zu beurteilen ist, wenn das Wohl von Kindern bedroht ist. Die Beziehungsdynamiken im Familien- und im Helfersystem seien zwei ganz wesentliche, sich überlagernde Komponenten, die nie bei einer Beurteilung außer Acht gelassen werden dürften. Wenn nicht „kontextualisiert“ werde, könne das zu „handwerklichen Fehlern“ führen, ebenso, wenn es kein integriertes Schutz- und Hilfekonzept gebe. Zur Legitimation von Hilfe und Kontrolle sagte er: „Kontrollen im demokratischen und sozialen Rechtsstaat sind nur durch ihre Nützlichkeit für seine BürgerInnen gerechtfertigt: Nur eine Jugendhilfe, die Kinder vor Gefahren für ihr Wohl auch zuverlässig schützen kann, darf kontrollierend Einfluss nehmen auf die Lebenssituation. Die kontrollierenden Instanzen müssen die Chance nutzen, sich den betroffenen Familien gegenüber glaubwürdig als hilfreich zu erweisen, sonst verschärft die Kontrolle die Lage der Kinder, da Eltern versuchen werden, sich gegen ‚ungerechte’ staatlicher Aufsicht zu wehren oder sich zu entziehen. Damit wird das Wohl von Kindern durch staatliches Handeln gefährdet, statt es zu schützen.“.

Das Bemühen um fachlich guten Kinderschutz sei immer da. Prof. Schrapper verwies in diesem Kontext auch auf die vielerorts überlasteten ASDs. Strukturell und personell überlastete Dienste und Fachkräfte könnten weder „schwache Signale wahrnehmen“ (Achtsamkeit), die erforderliche Komplexität und Reflexivität in Diagnostik und Handeln gestalten, noch verbindlich zusammenarbeiten. „Fachlichkeit light“ sei eben im Kinderschutz nicht möglich, genau deshalb wären auch Fehleranalyse und Risikomanagement so wichtig. Prof. Schrapper definierte Risikomanagement: Hinweise auf „unerwünschte Ereignisse“ so frühzeitig wahr(zu)nehmen und kompetent (zu) erkennen, dass sie nicht wirksam werden. Das bedeute, wegzukommen von Schuldfragen und hin zur Analyse, was realistischer weise besser gemacht werden könne, und damit auch Prioritäten zu setzen, an welchen Stellen in den Prozessen und Strukturen wie viel „Energie“ investiert wird, weil es folgenreiche Fehler verhindern hilft (und wo auch ein „Restrisiko“ akzeptiert werden muss). Abschließend stellte er die Frage: Braucht die örtliche Fallpraxis ein Bundeskinderschutzgesetz? Seine Antwort darauf?

  • Ja, die örtliche Fallpraxis benötigt dringend verbindliche Orientierungsnormen für Strukturen, Arbeitsweise und Instrumente fachlicher Arbeit.
  • Nein, die örtliche Fallpraxis benötigt keine Sanktionstatbestände und die Institutionen entlastende Vorgaben.
  • Ja, die örtliche Fallpraxis benötigt einen an den Lebens- und Teilhaberechten von Kindern orientierten Rahmen für notwendige Ausstattung und Ressourcen.
  • Nein, die örtliche Fallpraxis benötigt keine Mindeststandards für Ausstattung.
  • Ja, die örtliche Fallpraxis benötigt Verfahrensstandards für Qualitätsentwicklung und Wirkungskontrolle.

„Vor allem benötigt die örtliche Fachpraxis qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die angemessen bezahlt, kritisch reflektierend und gut verbunden sich als Person in der Lage sehen, in Ungewissheiten und Vieldeutigkeit die notwendigen Eindeutigkeiten zu gewinnen und Verbindlichkeiten zu gestalten.“

Die schwierige Frage der Verfahrensstandards
Im Anschluss daran stellte Thomas Krützberg, Leiter des Jugendamtes Duisburg und Vorsitzender der Konferenz der Leiter/innen der Großstadtjugendämter, die im Mai von der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände verabschiedeten „Empfehlungen zur Festlegung fachlicher Verfahrensstandards in den Jugendämtern bei Gefährdung des Kindeswohls“ im Plenum vor, die von einer Gruppe kommunaler Praktiker/innen im Jahr 2003 erarbeitet und nun überarbeitet wurden. Neu sei u.a., dass es nun im Anhang keinen Risikoerfassungsbogen mehr gebe und nicht die Risiko- sondern die Gefährdungseinschätzung im Mittelpunkt der Empfehlungen stehe. Allerdings wurde hierzu kritisch in der Plenumsdiskussion nachgefragt (und vorher bereits von Prof. Schrapper formuliert), warum die „zentrale Frage der Standards für ‚Einschätzungsverfahren’ völlig ausgeklammert“ sei und damit der Druck auf die Ebene der Mitarbeiter „durchgereicht“ werde und sich die Steuerungsebene auf diese Weise entlaste.

Wer schützt einen vor dem Kinderschutz?
Jugendhilfe zwischen Deregulierung und Überregulierung: Pro und contra zur Frage, was es gesamtgesellschaftlich bedeutet, wenn der Kontrollaspekt weiter verschärft wird, diskutierten Bruno Pfeifle und Hans-Rudolf Segger, Verwaltungsvorstand im Landkreis Goslar.

Herr Segger plädierte in seinem Statement dafür, bestimmten Begriffen wie Verpflichtung, Eingriff, Sanktion, Regulierung gegenüber offener zu sein und diese nicht per se als „negativ besetzt“ anzusehen, da sie ein „notwendiges Mittel im Kinderschutz“ seien. Für ihn gebe es ein merkwürdiges gesamtgesellschaftliches Missverhältnis, das er an folgendem Beispiel deutlich machte: Dass ein Auto zum TÜV oder Brandschutzvorschriften eingehalten werden müssen, sei akzeptiert, bei verpflichtenden U-Untersuchungen, in denen es um die Gesundheit der Kinder gehe, tue „man“ sich dagegen schwer(er), dies als Verpflichtung zu akzeptieren. Was sei das für ein Wertekontext? Eltern hätten gegenüber ihren Kindern nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten, dies müsse klarer, verbindlicher geregelt werden. Herr Pfeifle betonte, dass ihm die Freiheitsrechte des Einzelnen wichtig seien, und stellte gleichzeitig die Frage, wann es geboten sei, dass der Staat sich einmische. Solle es beispielsweise eine Verpflichtung für alle (potenziellen) Eltern zum Besuch einer Elternschule geben? Und was solle gegebenenfalls daraus resultieren, wenn dieser Verpflichtung nicht nachgekommen werde? Ein (technisch nicht einwandfreies) Auto könne man stilllegen, was aber solle in so einem Fall mit den Eltern passieren? Wo sind hier die Grenzen? Es gäbe eine Rollenverteilung bei der Verantwortungswahrnehmung und die liege in erster Linie bei den Eltern selbst. Man könne sonst auch das Vertrauen und die eigene Glaubwürdigkeit bei vielen Eltern verlieren, die ihre Aufgaben ernst nehmen. In der Diskussion mit dem Plenum sagte Dr. Erwin Jordan, Geschäftsführer des ISA Münster, wenn wir Kinderrechte ernst nehmen, dann sei das auch tendenziell immer mit Eingriffen in Elternrechte verbunden und gelte für ihn ebenso in Bezug auf die Wahrnehmung der Schulpflicht oder bei der Meldung ansteckender Krankheiten. Insgesamt stellte sich bei dieser Diskussion die Frage, was prioritär ist: die Erkennung von Kindesmisshandlungen oder die Erhöhung der Kindergesundheit? Wichtig sei die Fokussierung auf beide Themen mit einer klaren Rollenverteilung, damit die Kinder- und Jugendhilfe nicht immer zum „Ausfallbürgen“ dafür werde.

Auch schon Goethe war ein Freund von Hausbesuchen …
Klaus Ruffing, Leiter des Jugendamtes Saarpfalzkreis, begann seinen Vortrag mit einem Zitat von Johann Wolfgang Goethe: „Wir lernen die Menschen nicht kennen, wenn sie zu uns kommen, wir müssen zu ihnen gehen, um zu erfahren, wie es mit ihnen steht.“. Bezogen auf die Kinder- und Jugendhilfe stellen sich dann in der Praxis natürlich u.a. folgende Fragen:

  • Wann und in welchen Situationen ist tatsächlich ein Hausbesuch angebracht?
  • Wie und mit wem wird das Vorgehen fachlich beraten?
    • Wie geschieht die Vorbereitung und was ist zu dokumentieren?

Er trug verschiedene Fallbeispiele vor, anhand derer sich gut nachvollziehen ließ, in welchem Fall ein Hausbesuch erforderlich ist und wann eher nach anderen Alternativen und Hilfeangeboten gesucht werden sollte. Der Hausbesuch habe eine lange Tradition in der Jugendhilfe und diene im vertrauensvollen Umgang mit den Klienten dazu, Beratungs-, Unterstützungs- und Hilfeangebote zu den Menschen zu bringen. Dieses Qualitätsmerkmal aufsuchender sozialer Arbeit dürfe grundsätzlich nicht aufs Spiel gesetzt werden. Die Jugendhilfe müsse bei dem Klienten als verlässlich und von hoher Transparenz wahrgenommen werden. Auch der Hausbesuch im Rahmen einer Krisenintervention sollte von diesen Maximen geleitet sein.

Ein Lätzchen vom FC Schalke 04
Alfons Wissmann, Fachbereichsleiter Kinder, Jugend und Familie im Jugendamt Gelsenkirchen, stellte im Plenum den „Willkommensbesuch“ in seiner Stadt vor. Aber eigentlich präsentierte er den TeilnehmerInnen ein umfassendes Programm zur „Stärkung der Familienkompetenz und erfolgreichen Familienerziehung durch Familienbildung und Früherkennung von Problemlagen“ (Konzept für die Familienförderung/Familienbildung der Stadt Gelsenkirchen). Bei der Umsetzung dieses Konzeptes sollen im Verbund mit verschiedenen KooperationspartnerInnen Familien frühzeitig in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt und bedarfsgerecht und wohnortnah mit abgestimmten Angeboten der Familienförderung/Familienbildung erreicht werden. Dies beinhaltet grundsätzlich Angebote an alle Eltern, unabhängig vom Kindesalter. Jede Gelsenkirchener Familie erhält einen Begrüßungshausbesuch zur Geburt ihres Kindes (Freiwilliges Serviceangebot der Stadt). Im persönlichen Gespräch werden vorrangig Informationen über Familienbildungsangebote im nahen Umfeld vermittelt und Eltern motiviert, sich für anstehende Aufgaben der Kindererziehung zu rüsten. Das „Begrüßungspaket“ enthält: Ein umfassendes „Gelsenkirchener Informationsbuch“ inklusive den Elternbriefen, diverse Broschüren (z.B. zur Bettung des Kindes, Thema Rauchen usw.) sowie Babygeschenke (z.B. das oben erwähnte Schalke-Lätzchen).

Verflechtung des Kinderschutzgesetzes mit den Länderregelungen
Prof. Dr. phil. Dr. jur. Reinhard Joachim Wabnitz, Fachhochschule Wiesbaden, hatte die schwierige Aufgabe, die Verflechtung des Kinderschutzgesetzes mit den Länderregelungen darzustellen (obwohl noch gar nicht feststeht, ob und gegebenenfalls wann ein neues (Bundes-)Kinderschutzgesetz in Kraft treten wird) und auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie die Probleme in der Umsetzung hin zu vergleichen. Als Fazit seines Vortrages nahm er allerdings gleich vorweg, dass es nicht viele Gemeinsamkeiten gibt, vielmehr deutliche Unterschiede zwischen den Gesetzen bzw. Gesetzentwürfen von Bund und Ländern. Probleme in der Umsetzung seien zurzeit noch nicht erkennbar, da die Landesgesetze gerade erst in Kraft getreten sind und das Bundesgesetz noch nicht einmal verabschiedet ist. Er sei sehr gespannt zu erfahren, ob das Instrument „Informationen über die Nicht-Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen“ tatsächlich zu verbesserten Möglichkeiten bei der Wahrnehmung von Förder- und Schutzaufgaben für Kinder und Jugendliche nach dem SGB VIII beitrage. Einige Probleme seien in der Praxis bereits aufgetaucht. So gebe es z.B. vielfach einen personellen Mehraufwand in den Jugendämtern. Und nicht zuletzt bleibe abzuwarten, ob die finanziellen Voraussetzungen für die Erfüllung der zum Teil sehr ambitionierten Förder-, Hilfe- und Schutzaufgaben in den einzelnen Landesgesetzen erfüllt werden können.

Ein bisschen Rotz und Kotz – Einblick in die Arztpraxis eines niedergelassenen Kinderarztes
Klemens Senger, Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, hat seit 17 Jahren eine Praxis in Berlin-Neukölln mit Patienten aus allen sozialen Schichten und fast allen Ländern dieser Erde. Das klingt nach tiefen Einblicken in die Lebenswelt von problembelasteten Familien und nach jemandem, der gut aus eigener praktischer Erfahrung sagen kann, was Kinderärzte im Zusammenhang mit dem Kinderschutzgesetz von der Jugendhilfe erwarten. Er schilderte die vielfältigen Probleme und Krankheiten, wie sie bei Kindern und ihren Familien in einem solchen Bezirk wie Berlin-Neukölln immer wieder vorkommen und aus denen schließlich auch die Erwartungen der Kinder- und Jugendärzte erwachsen. Er verwies darauf, dass Kinderärzte in allererster Linie sekundäre Prävention machen, gefordert werde aber mittels der U-Untersuchungen von der Politik primäre Prävention. Hier bestünde ein Missverständnis über die Aufgaben und Arbeitsebenen der verschiedenen Professionen. Weitere Erwartungen von Kinderärzten an die Jugendhilfe seien u.a.:

  • Kostenfreie Betreuung in Kitas und Krippen;
  • Frühe Hilfen, die helfen Eskalation zu vermeiden;
  • Straffreie Vernetzung und Kooperation mit allen Berufsgruppen (bei vagem Verdacht; bei fehlendem Einverständnis) ohne das „man“ gleich von Juristen „bedroht“ ist;
  • Eindeutiger Vorrang des Kinderschutzes vor Elternrechten;
  • Kein Zwang zur Meldung des Verdachtes;
  • Qualifizierung der beteiligten Berufsgruppen;
  • Bessere Einbeziehung des medizinischen Sachverstandes.

Und ganz persönlich für die eigene Praxis erwarte er: Zu allen Zeiten vor Ort einsetzbare aufsuchende Systeme (Säuglings- und Kinderkrankenschwestern, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, Vernetzung mit Jugendamt und Ärzten).

Politik live in der Abendstunde ...
Ministerialrat Prof. Dr. Dr. Reinhard Wiesner kam am Ende des ersten Arbeitstages und berichtete über den aktuellen Sachstand in Bezug auf das Gesetzgebungsverfahren. Er teilte mit, dass es nun (vorerst) kein eigenes Kinderschutzgesetz geben werde, sondern voraussichtlich „nur“ eine Novellierung im SGB VIII. Man werde sehen, ob und wie diese Diskussion in der nächsten Legislaturperiode fortgesetzt werde(n) (könne).

Die Einrichtung einer Fachstelle „Kinderschutz“ + die Entwicklung einer Fehlerkultur
Am Anfang des zweiten Arbeitstages referierte Johannes Horn, Leiter des Jugendamtes Düsseldorf, zum Thema „Kinderschutz unter Steuerungsaspekten“. Und beantwortete exemplarisch für sein Jugendamt folgende Fragen, die Ausgangspunkt für die sich anschließenden moderierten Rundtischgespräche waren:

  • Wohin soll „die Reise“ gehen?
  • Wer schickt wen auf „die Reise“?
  • Wer geht mit wem auf „die Reise“?
  • Wie groß muss „die Reisegruppe“ sein?

Wie genau das in Düsseldorf nun „funktioniert“, können Sie in der Dokumentation zu dieser Tagung nachlesen, die zeitnah in den „Aktuellen Beiträgen zur Kinder- und Jugendhilfe“ veröffentlicht werden wird.

Bemerkenswert ist, dass es in Düsseldorf neben „Risikomanagement“ und einem eigenen Projekt zur „Entwicklung einer Fehlerkultur“ auch eine öffentliche kommunale Berichterstattung zum Kinderschutz gibt. Dies schafft Transparenz für die Politik und für interessierte Bürger, das Jugendamt stellt sich damit einer kritisch-solidarischen Öffentlichkeit und signalisiert damit gleichzeitig: „Wir bleiben wach“ …

Wenn Familien zu Feinden des Staates werden …
Wie die internationalen Entwicklungen im Kinderschutz – und insbesondere in Großbritannien – aussehen, aus diesem Blickwinkel referierte Prof. Dr. Silke Schütter von der Hochschule Niederrhein. Dort ist das staatliche System des Kinderschutzes schon länger in der Krise. Hintergrund hierfür ist eine Reform im Jahr 2003 im Kinder- und Jugendhilfeschutz aufgrund schwerer Fälle von Misshandlung und Vernachlässigung. Durch diese Reform wurde der Fokus im Kinderschutz auf die Identifizierung gefährdeter Kinder und Jugendlicher – und hier besonders auf arme Kinder und Jugendliche aus „Randgruppen“, gelegt. Und es wurde ein so genanntes Kinderschutzregister eingeführt, in dem nicht nur der ermittelte Hilfebedarf für Kinder und Jugendliche erfasst wird, sondern auch (potenziell) kriminelle/gefährdete Kinder. U.a. gibt es auch so genannte criminal-risk-tests für alle 11jährigen Kinder. Kritische Beobachter verwiesen darauf, dass dies eher Verbrechensprävention als Kinderschutz sei. Kinderschutzfehler würden in erster Linie entstehen, wenn die Zusammenarbeit mit den Familien nicht funktioniere, an dieser Stelle müsse neu nachgedacht und angesetzt werden. Großbritannien schneide in Bezug auf die Bewertung der sozialen Dienste nicht gut ab, hier gebe es erheblichen Entwicklungsbedarf, der nicht über die Einrichtung von Datenbanken gelöst werden könne, denn mit ihnen verschwinde der eigentliche Kinderschutz aus der Praxis.

Aus Fehlern lernen. Qualitätsmanagement im Kinderschutz: Ein neues Forschungsprojekt des Bundes zur Unterstützung der Kommunen
Christine Gerber, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen, sowie Mareike Patschke und Stefan Heinitz, beide Mitarbeiter in diesem neuen Forschungsprojekt, stellten dessen Konzeption und die geplanten Umsetzungsstrategien im Plenum vor. Geplant sei, eine dialogische, mehrseitige, multiprofessionelle und wissenschaftlich begleitete Qualitätsentwicklung in 48 Kommunen sowie ein Tandemkonzept zum Erfahrungs- und Wissenstransfer und zur Bildung und Stärkung regional vernetzter Kinderschutzcluster zu initiieren und implementieren. Kommunen, die neugierig auf einen solchen Prozess seien, könnten sich auch noch bewerben …

Natürlich gelte für die Arbeit des Projektes, dass keine Patentrezepte angeboten werden können, aber es bestehe die feste Absicht, sich den verschiedenen mit dem Kinderschutz verbundenen Herausforderungen zu stellen, wie z.B. der Vermeidung von Bruchstellen und strukturellen Schwächen in der Zusammenarbeit mit der konfliktbelasteten familialen Lebenswelt wie im gesamten professionsübergreifenden Hilfesystem. Schon allein diese eine Herausforderung klingt sehr komplex und die Praxis ist sicher noch um ein Vielfaches komplexer. Wir sind gespannt, wie sich diese Projektgeschichte entwickeln und was sozusagen der „Output“ sein wird.

Nachdenkliches zum Schluss:
Herr Pfeifle sagte bei der Eröffnung zu dieser Tagung auch, eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung bei mehreren statistischen Landesämtern zeige, dass im Jahr 2008 deutlich mehr Kinder aus ihren Familien in Obhut genommen wurden als im Vorjahr. In den meisten Bundesländern lag die Steigerung weit über zehn Prozent. Betrachtet man die vergangenen fünf Jahre, zeige sich ein kontinuierlicher Anstieg: Inzwischen holen Jugendämter etwa fünfzig Prozent mehr Kinder aus ihren Familien heraus als im Jahr 2003. Er wies darauf hin, dass diese Entwicklung von der Süddeutschen Zeitung als erfreulich begrüßt und auf die höhere Sensibilität der Jugendämter zurückgeführt wurde und stellte die Frage, wie diese Entwicklung wohl von den TagungsteilnehmerInnen bewertet werde.

Und wie von Ihnen? … wenn es darum geht, ob ein Kinderschutzgesetz die Auftragslage für die Jugendhilfe verändert, um noch mal auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen …

Kerstin Landua ist Leiterin der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe im Deutschen Institut für Urbanistik; Mail: landua@difu.de

 

 

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