16. März 2003
Sehr geehrter Herr Senator!
Der neueste Entwurf (Stand Februar 2003), der uns wieder nur auf Umwegen bekannt geworden ist, berücksichtigt in keiner Weise die vielfältigen Einwände, wie sie von betroffenen Pflegeeltern, Pflegekinderdiensten, Fachvereinigungen und Wissenschaftlern vorgebracht wurden (s. Diskussionsbeiträge), sondern ist vorrangig eine Neugliederung und eine weitere verfassungsrechtlich sehr bedenkliche Verschärfung der Elternrechte unabhängig von den Entwicklungsinteressen der Kinder.
Neu ist auch die Herausnahme der Übergangsvorschriften. Das könnte einerseits rechtstechnische Gründe haben, weil diese inhaltlich schwerpunktmäßig in die AV-Vollzeitpflegeleistungen gehören, könnte aber auch die Funktion haben, daß die bisher anvisierte finanzielle Besserstellung der Normalpflege aus Geldmangel wieder gestrichen oder aufgeschoben wird.
Ferner wird auf diese Weise eine der meistkritisierten Punkte der bisherigen Entwürfe - die vertragswidrige Schlechterstellung der heilpädagogischen Pflegeeltern - der fachöffentlichen Diskussion entzogen. Da die geplanten AV-Vollzeitpflegeleistungen uns nicht bekannt sind, bleibt dunkel, wie in Zukunft die finanzielle Ausstattung der Pflegeeltern aussehen soll.
Die einseitig favorisierte Rückkehroption und die prinzipiell aufgenötigten Kontakte zu den Herkunftseltern werden noch strikter festgeschrieben als in den vorangegangenen Entwürfen, unabhängig davon, ob die durch ihre Eltern psychisch und neurophysiologisch traumatisierten Kinder solche Kontakte verkraften und die zur Therapie notwendigen Dualbindungen zu den Pflegeeltern sich unter diesen Umständen überhaupt entwickeln können.
Neu aufgenommen wurde, daß „die Verabredungen zum Umgang mit der Herkunftsfamilie (im Pflegevertrag) festzulegen“ sind (§ 10 Abs. II AV Vollzeitpflege). Inhaltlich gehört diese Frage gar nicht in den Pflegevertrag, sondern in den Hilfeplan. Während der Hilfeplan nach dem Entwicklungsverlauf geändert werden kann, erfolgt der Pflegevertrag vor der Inpflegegabe, also zu einem Zeitpunkt, an dem oft noch gar nicht abzusehen ist, wie die Kinder auf Kontakte zu ihren Herkunftseltern reagieren. Er bleibt auch für die Dauer des Pflegeverhältnisses gültig, unabhängig von der jeweiligen psychosozialen Situation des Kindes. Dies ist nur so zu verstehen, daß die Pflegeeltern vertraglich in die Pflicht genommen werden sollen, auch dann Kontakte zuzulassen, wenn diese den Interessen ihres Pflegekindes entgegen stehen. Das widerspricht in vielen, wahrscheinlich in den meisten Fällen eindeutig dem Kindeswohl und beschränkt drastisch die Erziehungsautonomie der Pflegefamilie, eines der wichtigsten Prinzipien des Pflegekinderwesens im Gegensatz zu den familienförmigen Erziehungsstellen der Heime.
Die Einebnung der Unterschiede zur Heimerziehung und der Verzicht auf den ursprünglichen Ansatz, die Familienpflegereform aus der Absenkung der Heimunterbringungsquote zu finanzieren (s. Geisler), spricht für massive Interventionen der in Berlin besonders starken Heim-Lobby auf die gegenwärtige Umgestaltung des Pflegekinderwesens.
Herr Senator, wir bitten Sie dringend, sich korrigierend einzuschalten und wären dankbar für eine Mitteilung, ob und wie Sie dieser Bitte entsprechen wollen!
Mit vorzüglicher Hochachtung
gez. Gudrun Eberhard gez. Christoph Malter
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