FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2003

 

Der Senat von Berlin BildJugSport - 111 C ,11 Telefon: 9026 (926) - 5572

 

Vorbemerkung: Durch einen wohlinformierten Pflegevater haben wir die druckfrische Antwort des Berliner Jugendsenators auf eine Anfrage des Abgeordnetenhauses erhalten. Gudrun Eberhard, Leiterin des Therapeutischen Programms für Pflegekinder (TPP), hat dieses Mal keine gesonderte Stellungnahme angefertigt, sondern ihre kritischen Anmerkungen wegen der besseren Lesbarkeit jeweils in Klammern eingefügt.
Die vorangegangenen Informationen und Meinungsäußerungen zur Berliner Pflegekinderpolitik finden Sie hier im FORUM unter ’
Diskussionsbeiträge’.
Christoph Malter, 25. Okt. 2003

 

An das
Abgeordnetenhaus von -Berlin
über Senatskanzlei - G Sen

- Mitteilung -
zur Kenntnisnahme

über Bessere Rahmenbedingungen für die Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien

(Mehr Pflegestellen statt Heimunterbringung - Stärkung des Pflegekinderwesens als nachhaltiger Beitrag zur Reduzierung der Heimunterbringung)

- Drucksachen Nr'n. 15/731 und 15/1497- Schlussbericht;

Der Senat legt nachstehende Mitteilung dem Abgeordnetenhaus zur Besprechung vor.

Das Abgeordnetenhaus hat in seiner Sitzung am 11. April 2003 Folgendes beschlossen:

“Der Senat wird aufgefordert, dem Abgeordnetenhaus bis zum 30.09.2003 über die Situation des Pflegekinderwesens in Berlin zu berichten. Dabei ist konkret einzugehen auf

  • den bestehenden und beabsichtigten Anteil der Unterbringung in Pflegefamilien an den Hilfen zur Erziehung,
  • die bestehenden und geplanten fachlichen Standards und Strukturen für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien,
  • Maßnahmen zur Gewinnung von Pflegefamilien, und deren fachliche Beratung und Qualifizierung sowie
  • die Zukunft des Pflegekinderwesens in Berlin.“

Hierzu wird berichtet

1. Der bestehende und beabsichtigte Anteil der Unterbringung in Pflegefamilien an den Hilfen zur Erziehung  . . .

Zum Stichtag 31.12.2002 wurden nach der Hilfeplanstatistik der Berliner Jugendämter insgesamt 2.209 junge Menschen in Vollzeitpflege betreut.  7270 junge Menschen befanden sich in Heimerziehung und sonstigen betreuten Wohnformen.

Der Anteil der in Vollzeitpflege betreuten jungen Menschen betrug demnach 23 % im Verhältnis zu 77 % Heimerziehung. Im Hinblick auf die Altersgruppe der unter 6-Jährigen, die außerhalb des Elternhauses untergebracht sind, liegt der Anteil in Pflegefamilien bei
65 % im Verhältnis zu 35 %  in anderen Betreuungsformen wie familienähnlichen Wohnformen und auch Heimen.

(Daran wird deutlich, daß der Pflegekinderanteil deutlich unter den Quoten vergleichbarer Städte liegt und trotz aller Ankündigungen nicht erhöht werden konnte.)

Es ist fachlich unbestritten, dass das Angebot an Vollzeitpflege nach ihren Bedingungen die Heimerziehung nicht vollständig überflüssig machen kann. Dennoch soll auch die Vollzeitpflege angemessen qualifiziert, das Potential, das sie bietet, stärker genutzt und damit das Angebot an Pflegestellen erweitert werden.  Mit der Qualifizierung und intensiven Betreuung der Pflegeeltern wird längerfristig der quantitative Ausbau von Pflegestellen bis zu einem Anteil von über 30 % an der Fremdunterbringung. angestrebt.

(Es ist nicht einzusehen, wie der Abbau der heilpädagogischen Pflegestelle, die als vorbildliches Modell überregionale Beachtung gefunden und sich in empirischer Begleitforschung bewährt hatte, zu einer Qualitätssteigerung des Pflegekinderwesens führen soll.)

2. Die bestehenden und geplanten fachlichen Standards und Strukturen für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien

Die bisherigen Regelungen zur Vollzeitpflege in Form der 1988 außer Kraft getretenen Ausführungsvorschriften. (PKV) basierten noch auf der gesetzlichen Grundlage und der Struktur des alten Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG). Die materiellen Leistungen sind zusätzlich in den Farnlilienpflegegeldvorschriften (AV- FPGV) mit einer Vielzahl von Sonderregelungen, die sich auf das alte System bezogen, geregelt. Die Höhe des monatlichen Pauschalbetrages bei Vollzeitpflege (materielle Aufwendungen und Kosten der Erziehung) orientiert sich dabei an der Art der Pflegestelle (spezialisiert oder nicht spezialisiert) und nicht am erzieherischen Bedarf des Pflegekindes im Einzelfall, der sich im Verlauf der Hilfe ändern (mindern bzw. steigen) kann. Diese Sichtweise hat dazu geführt, dass die Hilfen für das Pflegekind nicht immer ausreichend nach positiven Entwicklungszielen ausgerichtet wurden und der Status der spezialisierten sog. „heilpädagogischen Pflegestelle” in Verbindung mit den finanziellen Mehrleistungen im Vordergrund der Leistungsgewährung steht.

(Es ist falsch, daß sich die finanzielle Leistungsgewährung nach der Art der Pflegestelle richtet. Richtig ist, daß sich die Finanzierung nach der Art der Aufgabenstellung richtet. Heilpädagogische Pflegestellen bekommen nur dann ein erhöhtes Erziehungsgeld, wenn das aufgenommene Kind nach Art seiner Störungen heilpädagogischer Pflege bedarf. Nachdem wir diese Falschdarstellung schon einmal korrigiert haben, müssen wir deren Wiederholung als bewußte Fehlinformation reklamieren. Daß viele Pflegeeltern massiv gestörte Kinder betreuen, ohne als heilpädagogische Pflegestellen anerkannt zu werden, ist leider wahr.)

Hilfe in Vollzeitpflege ist eine Hilfeart im Leistungsbereich der Hilfe zur Erziehung nach  § 27 ff SGB VIII. Anspruchsberechtigt sind die Personensorgeberechtigten, wenn diese Hilfe notwendig und geeignet ist. Für die Gewährung dieser Hilfe gelten  ebenfalls die im Gesetz formulierten Voraussetzungen nach § 27 ff SGB VIII sowie die Regelungen zur Hilfeplanung nach §§ 36,37 SGB VIII. Die Analyse der bisherigen Praxis in den Jugendämtern dazu hat ergeben, dass es Mängel im Hinblick auf die Diagnostik des Förderbedarfs und die Gestaltung des Hilfeplanverfahrens gibt.

(Die Frage, ob es sich um ein Kind mit heilpädagogischem Förderbedarf handelt, wird bereits jetzt von entsprechend qualifizierten Fachdiensten bearbeitet. Die z.T vorbildlichen Hilfeplanverfahren beweisen, daß sie unter den gegenwärtigen Bedingungen möglich sind, wenn die Jugendämter quantitativ und qualitativ richtig besetzt sind. Die geplante Reduzierung und zeitliche Begrenzung des erhöhten Erziehungsgeldes bei „erweitertem Förderbedarf“ (bisher heilpädagogischem Bedarf) wird trotz der allgemeinen Honorarerhöhung zur Reduzierung von Pflegestellen und vor allen Dingen zu erhöhten Abbruchquoten führen. Die einschlägigen Forschungsergebnisse belegen, daß Vernachlässigung, Mißhandlung und Mißbrauch zu tiefgreifenden seelischen und hirnorganischen Schädigungen führen, die nur langfristig  und selten vollständig geheilt werden können (s. Sachgebiet Traumaforschung) . Die zeitliche Begrenzung des erhöhten Erziehungsgeldes verunmöglicht potentiellen Pflegeeltern die erforderliche langfristige Lebensplanung, beispielsweise Aufgabe der Erwerbstätigkeit und Umzug in eine andere Wohnung in einer sozialökologisch geeigneten Gegend. Wenn sie dann für erfolgreiche Arbeit mit Entzug des erhöhten Erziehungsgeldes „bestraft“ worden sind, geraten sie in erhebliche materielle Schwierigkeiten, können aber wegen der gewachsenen und heilpädagogisch sehr notwendigen emotionalen Bindungen den Pflegevertrag nicht auflösen. Und wenn dann das Pflegekind seine nächste Verhaltenskrise bietet, müssen sich die gründlich frustrierten Pflegeeltern erneut bei den leeren Staatskassen um einen Nachschlag bewerben. Nur unsachkundige oder zynische Sozialarbeiter werden unter diesen Umständen neue Pflegeeltern für  traumatisierte Kinder anwerben können.) 

Auch die Arbeit mit den Herkunftseltern, insbesondere zur Stärkung ihrer Erziehungskompetenz, erfolgt bisher nicht mit dem notwendigen Nachdruck.

(Die Arbeit mit den Herkunftseltern liegt bislang in den Händen des Allgemeinen Sozialpädagogischen Dienstes. Daraus resultiert eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen Pflegekinderdienst und Allgemeinem Sozialpädagogischen Dienst: die Pflegeeltern brauchen Berater, die sie als engagierte Unterstützer ihrer schwierigen Arbeit erleben können, ebenso wie andererseits die Herkunftseltern Helfer erwarten, die sich für ihre familiären Bedürfnisse engagieren.)

Darüber hinaus sind durch veränderte Rahmenbedingungen in den Jugendämtern (Konzentration auf Kernaufgaben) und der Integration der Pflegekinderdienste in den Allgemeinen Sozialpädagogischen Dienst der Jugendämter (ASD) andere Schwerpunktsetzungen erfolgt, die eine Verfahrensanpassung und Neuorganisation erforderlich machen.

(Noch haben die meisten Jugendämter Berlins spezialisierte Pflegekinderdienste, die in langjähriger Beratungs- und Betreuungstätigkeit unverzichtbare Spezialkenntnisse erarbeitet haben. Mit der geplanten Auflösung dieser Dienste werden Kompetenzen brach gelegt, die auf dem sehr komplizierten Feld des Pflegekinderwesens von notorisch unterschätzter Wichtigkeit sind.)

Auch die Gewinnung neuer Pflegeeltern ist im bisherigen (Finanzierungs-)System nicht ausreichend möglich.

(Der überregionale Erfahrungsaustausch der Pflegekinderdienste hat ergeben, daß der Zugewinn neuer Pflegeeltern  aus der Zufriedenheit der bestehenden resultiert. Die kostenlose Mund-zu-Mund-Propaganda hat sich als die wirksamste Werbung erwiesen, die aber ins Gegenteil umschlagen wird, wenn die heilpädagogischen Pflegestellen so  behandelt werden, wie nun geplant.)

Bisher geht entsprechend der bundesgesetzlichen  Regelung in § 86 Abs. 6 SGB VIII nach zwei Jahren Unterbringung in einer Pflegestelle die volle, auch finanzielle Belastung in den Bezirk über, in dem die Pflegeeltern wohnen. Damit werden die Bezirke, in denen mehr Pflegestellen zur Verfügung stehen, als dort benötigt werden (in der Regel die Stadtrandbezirke), unverhältnismäßig belastet, und der Ausbau von Pflegestellen wird gebremst.

(Die unterschiedliche finanzielle Belastung der Berliner Bezirke kann ausgeglichen werden, dadurch daß die Kosten durch den Bezirk getragen werden, in dem die Eltern ihren Wohnsitz haben. § 86 III KJHG hat für Pflegestellen eine sehr sinnvolle Zuständigkeitsabweichung getroffen. „Die Vorschrift durchbricht den Grundsatz, wonach ein Ortswechsel des Kindes oder des Jugendlichen, der durch die Gewährung einer Leistung bedingt ist, niemals zu einem Zuständigkeitswechsel führt. Sie trägt der psychosozialen Realität Rechnung, daß ein Kind oder ein Jugendlicher, das bzw. der längere Zeit mit anderen Personen zusammenlebt, die sich ihm liebevoll zuwenden, ein neues schützenswertes Eltern-Kind-Verhältnis begründen kann.“ (vgl. Kommentar zu SGB VIII, § 86, RD 33, Wiesner et al.). Eine Änderung der Zuständigkeitsregelung, wonach der Wohnort der Herkunftseltern die Zuständigkeit begründet, würde aufgrund der in diesem Milieu üblichen Mobilität zu unkalkulierbar häufigen Zuständigkeitswechseln führen. Der bisherige langfristige Betreuungsaufbau zwischen Jugendamt und Pflegestelle würde verunmöglicht. Bei mehreren Pflegekindern müßten die Pflegeeltern evtl. mit verschiedenen Jugendämtern zusammenarbeiten, die dann abermals wechseln können. Formalrechtlich stellt sich die Frage, wie der Berliner Jugendsenator das bundesgesetzliche KJHG aushebeln will.)

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport hat in den vergangenen Jahren gemeinsam mit den Bezirken nach Analyse der zuvor geschilderten Praxis und der bestehenden Ausbauhemmnisse im Pflegekinderwesen umfassende Grundlagen für eine Neustrukturierung der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege in Form von Ausführungsvorschriften erarbeitet. Im Rahmen dieser Neukonzeption sind fachliche Standards und Strukturen für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien entwickelt worden. Für die Diagnostik des Förderbedarfs, die Prüfung der Passfähigkeit bei der Vermittlung des Kindes in eine geeignete Pflegefamilie und die Fortschreibung des Hilfeplans sind klare Vorgaben gemacht und Verfahren zwischen Herkunftselternjugendamt und Pflegestellenjugendamt festgelegt worden.

(Diese Behauptung steht in krassem Gegensatz zur Realität! Die praxiserfahrenen Mitarbeiter der Pflegekinderdienste beklagen immer wieder, daß die gesamte Planung ohne ihre Mitwirkung in geradezu konspirativer Manier vorangetrieben wurde. Auch die langjährig im Pflegekinderwesen tätigen und forschenden freien Träger wurden nicht hinzugezogen.)

Zur Sicherung ihrer Handlungskompetenz sowie der Unterstützung bei der Umsetzung der in der Hilfeplanung formulierten Ziele werden künftig alle Pflegeeltern ausreichend auf die zu erwartenden pädagogischen Aufgaben vorbereitet und kontinuierlich beraten. Herkunftsfamilien, Pflegekinder und Pflegefamilien werden zum Wohl des Kindes in ein Gesamtsystem der Unterstützung einbezogen.

(Die programmatische, ideologisch statt empirisch begründete Festlegung auf die Konstruktion von „Gesamtsystemen“ ist schon deshalb falsch und gefährlich, weil sich erst im Einzelfall zeigt, ob ein solches Konzept nützlich oder schädlich ist. Nach unseren langjährigen Erfahrungen kommt es nur in einer Minderzahl der Fälle in Betracht.)

Damit soll auch der Gefahr des Scheiterns von Pflegeverhältnissen (Beziehungsabbruch, Trennung, Heimeinweisung) und psychosozialer Belastung von Pflegefamilien angemessen vorgebeugt werden.

(Der Abbau der heilpädagogischen Pflegestellen, die ja gerade für die besonders schwierigen, von Heimeinweisung bedrohten Kinder geschaffen wurden, wird die Abbruchquote und mithin die Zahl der Heimunterbringungen erhöhen, insbesondere wenn die freien Träger des Pflegekinderwesens gleichzeitig Heimträger sind.)

3. Maßnahmen zur Gewinnung von Pflegeeltern

In den Prozess der Qualifizierung und des bedarfsgerechten Ausbaus der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege sollen insbesondere für die Aufgaben der Werbung, Vermittlung, Begleitung und Qualifizierung von Erziehungspersonen/ Pflegeeltern verstärkt freie Träger eingesetzt werden. Im Rahmen der Vertragskommission zum Berliner Rahmenvertrag für Hilfen in Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe (BRVJ) soll eine Leistungsbeschreibung für diese Tätigkeitsbereiche der freien Träger erarbeitet werden, damit die notwendige gesamtstädtisch einheitliche Verfahrensklarheit hergestellt wird.

(Im Bereich der Heimerziehung hat sich gezeigt, wohin die Abhängigkeit sogenannter „freier“ Träger von den Jugendämtern führen kann: zur Dumping-Konkurrenz um die betroffenen Kinder und Jugendlichen auf Kosten der Qualität.)

Die Qualifizierung aller Pflegeeltern wird im Rahmen einer angemessenen Vorbereitung und Eignungsprüfung sowie durch begleitende Beratung und Fortbildung sichergestellt. Hierzu ist von der Pflegeelternschule der sozialpädagogischen Fortbildungsstätte Jagdschloss Glienicke ein Curriculum erarbeitet worden. Ab August 2003 werden im Vorgriff auf die zu erwartenden Ausführungsvorschriften Lehrgänge zur Grundqualifikation sowie Beratungsgruppen, Einzelberatungen und Informationsveranstaltungen angeboten.

(Angesichts der Erfahrungen, die man mit der Konzentration sozialpädagogischer Ausbildungsstätten in Berlin gemacht hat, kann vor einer Monopolisierung der Aus- und Fortbildung im Pflegekinderwesen nur gewarnt werden.)

Zur Gewinnung von Pflegefamilien ist zusätzlich ein von den Bezirken, der Senatsverwaltung  für Bildung, Jugend und Sport und den freien Trägern entwickeltes  Konzept zur Öffentlichkeitsarbeit und Information für potenzielle Pflegefamilien geplant.

(In Anbetracht der genannten Mängel wird die Öffentlichkeitsarbeit entweder ehrlich und erfolglos oder verschleiernd und irreführend sein. Wenn nur ein Teil der finanziellen Mittel, die an freie Träger transferiert werden sollen, in die bisherigen bezirklichen Pflegekinderdienste investiert werden, könnten diese mit überzeugender Betreuungsarbeit sehr erfolgreich um geeignete Pflegeeltern werben. Wir hatten in unserem Pflegekinderprojekt nie Probleme, tüchtige Pflegeeltern zu gewinnen. Das würde sich mit der Realisierung der geplanten Pflegekindervorschriften allerdings schlagartig ändern.)

4. Die Zukunft des  Pflegekinderwesens  in Berlin

Wesentliche Ziele der Neustrukturierung des Pflegekinderwesens sind:

Qualifizierung der Hilfeplanung und Hilfeplanfortschreibung einschließlich Festlegung von Standards für Diagnostik und Indikation und Standards für die Auswahl der im Einzelfall geeigneten Pflegeeltern/Erziehungsperson.

(Die Verwirklichung dieser guten Ansprüche hängt ganz von denen ab, die sie erarbeiten. Werden es dieselben „Experten“ sein, die die geplanten Pflegekindervorschriften kreiert haben?)

Qualifizierung der Hilfe zur Erziehung inVollzeitpf1ege (§33 SGB VIII) und Familienpflege (§ 32 Satz 2 SGB VIII) durch Schulung,  fortlaufende Beratung und Supervision der Erziehungspersonen.

(Diese Absichten sind ebenfalls zu begrüßen. Aber auch hier stellt sich aus bitterer Erfahrung die Frage, wer plant und vollzieht die Qualitätsangebote, und wie wird das Recht der Pflegeeltern auf freie Auswahl gewährleistet?)

Erhöhung des allgemeinen Erziehungsgeldes in Verbindung mit der Absenkung des besonderen Erziehungsgeldes um der Erziehungsleistung gerechter zu werden. Damit ist dann auch weitestgehend Kostenneutralität gewährleistet. Für bestehende Pflegeverhältnisse ist ein Bestandsschutz vorgesehen.

(Ursprünglich hatte die Senatsverwaltung die naheliegende Absicht, die Kostenneutralität durch Absenkung der Heimplätze zu erreichen. Davon ist nun keine Rede mehr. Insider erklären sich diesen Sinneswandel mit dem ungebrochenen Einfluß der senatsnahen Heimträgerlobby. Wie der “Bestandsschutz“ für bestehende Pflegeverhältnisse aussehen soll, liegt immer noch im Dunklen.)

Umbau der bisherigen Formen der Voltzeitpflege ("Kurzpflege“,  „Dauerpflege", Heilpädagogische Pflege“ , "Wochenpflege“  „Großpflege“) zu zwei Grundmodellen (mit in der Regel nicht mehr als drei Pflegekindern). die ausreichend flexibel sind und. dem ggf: vorliegenden erweiterten Förderbedarf des Pflegekindes im Rahmen des Hilfeplanverfahrens längerfristig oder. befristet angemessen Rechnung tragen.

(Die Reduktion der bisherigen Pflegeformen führt nicht zu mehr, sondern zu weniger Flexibilität. Eine fachliche Begründung, warum die bewährten Großpflegestellen besonders erfahrener und professionell arbeitender Pflegeeltern abgeschafft werden sollen, liegt bisher nicht vor. Sie sind wesentlich kostengünstiger als vergleichbare Heime. Allerdings haben sie sich immer wieder als besonders durchsetzungsfähige Interessenvertreter der Pflegeelternschaft betätigt - vielleicht sollen sie deshalb klein gehalten werden.)

Änderung der Kostenzuständigkeit nach § 86 Abs. 6.SGB VIII; das Herkunftselternjugendamt bleibt Kostenträger und Gewährleistungsträger

(Zur Kostenzuständigkeit siehe Anmerkung unter Ziffer 2.)

Stärkerer Einbezug von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe für Akquisition, Vermittlung, Prüfung, Qualifizierung  und Betreuung von Pflegestellen

(Wenn freie Träger aus ökonomischen Zwängen für sich werben, wird deren Werbung allmählich die Gestalt und Glaubwürdigkeit sonstiger kommerzieller Werbung annehmen. Auch hier ist ein Blick in die Selbstdarstellungen gegeneinander konkurrierender Heime recht lehrreich.)

Herstellung transparenter Verfahren für alle Beteiligten durch gesamtstädtisch einheitliche Strukturen und Standards.

(Bei Adoptionsfamilien käme niemand auf die Idee, sie derart zu uniformieren und zu reglementieren, weil es der grundgesetzlichen Stellung der Familie total widerspräche. Pflegefamilien stehen rechtlich zwischen Adoptionsfamilien und den Erziehungsstellen der Heime. Also sollte man ihnen auch angemessene Autonomie zubilligen und sie nicht zu Vollstreckern zentral geplanter Programme instrumentalisieren. Die besondere Effizienz der Pflegefamilien lebt gerade auch von ihrer gesellschaftlichen Normalität.)

Mit der Änderung der Kostenzuständigkeit nach § 86 Abs.6 SGB VIII wird es den Jugendämtern möglich sein, verstärkt freie Träger der Jugendhilfe in diesem Arbeitsfeld einzusetzen. In einem engen Verbund mit freien Trägem auf Basis vertraglicher Vereinbarungen können damit künftig einzelne Aufgaben der  Pflegekinderdienste (Werbung, Vermittlung,  Beratung und Begleitung von Pflegepersonen) an freie Träger übertragen werden. Die Entscheidung über die Gewährung der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege und die verantwortliche Steuerung des Hilfeprozesses sind Kernaufgaben des Jugendamtes im Rahmen der Hilfeplanung (§ 36 SGB VIII) und verbleiben beim örtlich zuständigen Jugendamt.

(Zur Abhängigkeit „freier“ Träger s. Anmerkung unter Ziff. 3.)

Die im Entwurf vor1iegenden Ausführungsvorschriften über Hilfe zur Erziehung in  Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) und teilstationärer Familienpflege (§32 Satz 2 SGB VIII) werden nach Abschluss des Mitzeichnungsverfahrens und Anhörung des Landesjugendhilfeausschusses voraussichtlich Ende 2003 in Kraft gesetzt und eine zentrale Grundlage für die Neustrukturierung und Stärkung des zukünftigen Pflegekinderwesens in Berlin im Kontext der Hilfe zur Erziehung sein.

(Diese viel zu enge Fristsetzung signalisiert die Absicht, wieder auf angemessene Diskussionen mit den Praktikern und Pflegeeltern verzichten zu wollen. Wir verweisen nochmals auf die vielfältigen Stellungnahmen zu den geplanten Ausführungsvorschriften (vgl. www.agsp.de). Eine Auseinandersetzung des Jugendsenators mit dieser ihm längst bekannten Kritik hat bisher nicht stattgefunden.)

Wir bitten, den Beschluss damit als erledigt anzusehen

(Wir bitten, den Beschluß nicht als erledigt anzusehen
- gez. RA Soz-Päd. grad. Gudrun Eberhard)

Berlin, den 7. Oktober 2003
Senat von Berlin
Regierender Bürgermeister

In Vertretung
Andre Schmitz
Chef der Senatskanzlei
Klaus Böger
Senator für Bildung, Jugend und Sport

 

 

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