FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Erfahrungsbericht / Jahrgang 2006

 

Pflegemutter als Kinderschützerin gegen Jugendamt

 

Seit 1999 bin ich Bereitschaftspflegestelle und hatte bis Mitte letzten Jahres ca. 60 Kinder im Alter von 0 bis 18 Jahren zu betreuen. Im Februar 2005 kam eine 16jährige Türkin zu mir in Obhut, die von ihrem Bruder, nur weil sie mit einem Deutschen sprach, das Trommelfell zerschlagen bekam.

Es war eine deutsche Sachbearbeiterin, die sie mir brachte, da der zuständige türkische Sachbearbeiter zu der Zeit, als das Mädchen auf dem Jugendamt um Hilfe bat, nicht anwesend war. In ihrer Begleitung befand sich der deutsche Junge, der, wie sich herausstellte, ihr heimlicher Freund war.

Im Laufe des Aufenthaltes bei mir erfuhr ich verschiedene Dinge. Dieses Mädchen hatte schon Anfang 2004 um Hilfe gebeten, danach sporadisch noch ein paar Mal im Laufe des Jahres, wurde aber von dem türkischen Sozialarbeiter wieder in die Familie zurückbugsiert, mit dem Versprechen, er werde sich um sie kümmern und öfter mal kommen und mit den Eltern reden. Laut Aussage von Z. war er nicht einmal da.

Ich hatte Gespräche mit ehemaligen Lehrern, dem Sozialarbeiter der zuständigen Schule, sowie einer Streetworkerin, bei denen das Kind mehrmals Hilfe suchte. Diese Personen konnten alle nicht verstehen, dass Z. nicht schon früher von zu Hause wegkam und waren erleichtert, dass es nun endlich der Fall war.

Die Familie von Z. lebte seit neun Jahren mit Duldung in Deutschland. Aus der Erzählung von Z., was mir von einer anderen türkischen Frau zum Großteil bestätigt wurde:

Die Mutter und der Bruder führten zu Hause das Zepter. Der Vater hatte, für Türken eigentlich untypisch, nicht viel zu sagen und konnte seiner Tochter nicht beistehen.

Es war sogar einmal der Fall, dass die Mutter ihren Bruder, also den Onkel von Z., aus Frankfurt herbeiorderte, um Z. ‚Manieren’ beizubringen, was sich in Form von massiver Prügel äußerte.

Ich erfuhr dann auch von dem Freund des Mädchens, dass er im Januar 2005 mit ihr geschlafen hatte. Z. war also keine Jungfrau mehr. Was das bedeutet, wenn sie nur für ein Gespräch mit einem Deutschen das Trommelfell zerschlagen bekommt, kann man sich leicht vorstellen.

Ich teilte dies umgehend dem türkischen Sozialarbeiter mit, damit er die Gefahr erkennt, wenn das Kind wieder in die Familie zurückkehren würde. Denn bei Telefonaten – die Mutter rief mehrmals auf dem Handy von Z. an – wurde Z. bedroht und man teilte ihr mit, dass sie sofort bei Rückkehr mit ihrer Mutter zum Frauenarzt gehen wird.

Für mich stand fest, dass das Mädchen in großer Gefahr schwebt. Obwohl der Sozialarbeiter von all dem wusste, drängte er Z. immer wieder, auf dem Jugendamt zu erscheinen, um noch einmal mit der Mutter, noch einmal mit dem Vater und wieder mit der Mutter usw. zu reden, wohl in der Hoffnung, das Kind doch zur Rückkehr zu bewegen. Ohne meine psychische Unterstützung, hätte der Sozialarbeiter es sicher wieder geschafft, dass Z. zurückgeht, weil ihr nichts anderes übrig geblieben wäre. Denn wo soll ein Kind noch Hilfe suchen, wenn nicht auf dem Jugendamt. Und wenn sogar der Sozialarbeiter sagt, dass das, was man tut, falsch ist, muss sich das Kind wohl oder übel in sein Schicksal fügen.

Dann kam der 15.April und ich erhielt früh morgens einen Anruf von dem Freund des Mädchens, der im gleichen Ort wie die Eltern wohnt. Er teilte mir mit, dass beim Haus der Familie die Polizei wäre und den Vater und eine Tochter mitgenommen hätte, während die Mutter mit einer weiteren Tochter und dem Sohn flüchten konnte.

Um 9.00 Uhr erreichte ich endlich den Sozialarbeiter und fragte, was da los sei, worauf er mir antwortete, eigentlich dürfe er mir das ja nicht sagen, aber die Polizei käme auch bald zu mir und würde Z. abholen, die Familie würde heute abgeschoben werden. Auf meinen Einwand, das könne doch nicht sein, dass ein Kind, das wegen Gewalt in der Familie in Obhut kommt, eben mit dieser Familie zusammen in die Türkei abgeschoben wird, dass sofort herauskommt, dass Z. keine Jungfrau mehr ist und das Leben des Kindes in Gefahr sei, teilte er mir lapidar mit, er könne nichts machen.

Als die Polizei vor meiner Tür stand, rief ich per Telefon den Lehrer von Z. an, erklärte ihm die Situation und er begleitete Z. nach Hause, ohne zu sagen, um was es ging. Mittlerweile hatte ich Gelegenheit mit den Polizisten zu sprechen und die gaben mir den Rat, schnellstens einen Eilantrag zu stellen.

In der Hoffnung, der Sozialarbeiter könne damit etwas anfangen rief ich ihn wieder an, worauf er mir wieder versicherte, er könne nichts tun und auf meine Erklärung hin, dass ich etwas unternehmen werde, sagte er mir, er kann mir da aber nicht helfen und ich hätte sowieso keine Chance, ich hätte ja kein Sorgerecht und nichts.

Nichtsdestotrotz ließ ich mich nicht davon abbringen. Es war 10.00 Uhr und Z. war mittlerweile unterwegs zum Flughafen und ich, von nichts eine Ahnung, wie man das macht, telefonierte durch halb Deutschland, bis ich endlich erfuhr, wohin so ein Eilantrag gefaxt werden konnte.

Um 11.00 Uhr war der Eilantrag endlich unterwegs. Dann begann die Zeit des Bangens. Das Flugzeug sollte um 13.15 Uhr starten. Man kann sich sicher vorstellen, wie erstaunt ich war, als ich um 13.00 Uhr erfuhr, dass mein Antrag Erfolg gehabt hatte und Z. vorläufig in Deutschland bleiben konnte, obwohl in diesem Antrag nichts davon stand, dass sie keine Jungfrau mehr ist, sondern lediglich, dass sie wegen Gewalt in der Familie in Obhut war.

Gedanken über das Verhalten des türkischen Sozialarbeiters machte ich mir da noch nicht, sondern rief ihn an und teilte ihm die freudige Botschaft mit. Sein etwas verhaltenes Gespräch machte mich stutzig. Als ich mit dem Ausländeramt in G. sprach und die zuständige Dame für Abschiebungen über den Verbleib von Z. informierte, stellte ich mit Erstaunen fest, dass diese Frau von dem o.g. Sachverhalt überhaupt nichts wusste.

Im Gegenteil. Sie sagte mir, wenn sie davon gewusst hätte, wäre Z. erst gar nicht in den Rahmen der Abschiebung mit rein gekommen und es hätte eigentlich nur eines Telefonates des Sozialarbeiters bedurft, was dieser natürlich nicht getätigt hatte.

Diese Frau rief mich Montag darauf an und nannte mir den Namen eines Rechtsanwaltes, der auf Asylbewerber spezialisiert sei, den ich doch konsultieren sollte. Fand ich sehr nett von ihr.

Aber mein Erstaunen gipfelte darin, als am Dienstagabend das Telefon klingelte und mich privat der für den Eilantrag, zuständige Richter anrief und sich bei mir erkundigte, was denn da los war und warum das Jugendamt denn nichts im Vorfeld unternommen habe.

Da war mir klar, dass hier eine ganz linke Tour seitens des Sozialarbeiters gelaufen war. Dies bestätigte sich, als Z. mit ihrem Vater in der Türkei telefonierte und der ihr bestätigte, dass der Sozialarbeiter der Mutter versprochen habe, er würde Z. wieder nach Hause bringen.

Die Mutter von Z. hielt sich immer noch in Deutschland auf und nachdem sie bei einem Rechtsanwalt war, konnte sie sich auch aus ihrem Versteck trauen, da sie sich bereit erklärte, freiwillig mit dem Rest der Familie am 31.05. abzureisen.. In dieser Zeit bestellte der Sozialarbeiter zweimal Z. aufs Jugendamt, damit sie noch einmal mit ihrer Mutter redet und ihr auch den Vorschlag zu machen, mit in die Türkei zu fliegen. Z. war aber so gefestigt, dass sie verneinte.

Befreundete Bereitschaftspflegeeltern bestätigen mir, dass viele türkischen Mädchen wieder nach Hause gingen. Der Sozialarbeiter ist auch so unhöflich, dass er in unserer Gegenwart mit den Mädchen türkisch redet, obwohl alle Kinder sehr gut deutsch sprechen und sogar unserer Bitte, doch deutsch zu reden, nicht nachkommt. Wir verstehen nichts, aber wir sehen, wie die Mädchen im Laufe des Gespräches immer „kleiner“ werden. Aber nie war ein Fall so gefährlich wie der Fall von Z.

Ich habe seit dieser Zeit keine guten Karten mehr auf dem Jugendamt. Ich hatte lediglich am 27. Juli einen Jungen von 12 J., dessen Mutter in die Psychiatrie musste. Ich war sehr erstaunt, dass dieser Junge bereits am dritten Tag zu anderen Pflegeeltern kam, obwohl das eigentlich nicht üblich ist. Im August hatte ich noch einmal eine Inobhutnahme eines äthiopischen Mädchens für 14 Tage und nach meinem Urlaub im September Ankündigungen von  einigen Mitarbeitern des Jugendamtes, dass sie mir ein Kind bringen wollen, was jedes Mal plötzlich kurz vorher abgesagt wurde.

Auf meine Frage hin bei verschiedenen Mitarbeitern, warum ich keine Kinder mehr bekomme, während die anderen Bereitschaftspflegestellen, mit z.T. 4 Kindern sogar überbelegt sind - anders kann man es nicht nennen, wenn ein 15-jähriger Türke mit seiner 17-jährigen Schwester im Zimmer der 15-jährigen Dauerpflegetochter untergebracht ist, antwortete man mir, ich möchte doch mit der Leiterin des sozialen Dienstes reden.

Diese wiederum sagte mir, das liegt an den Mitarbeitern. Bis heute habe ich keinen Grund dafür erfahren. Und das Merkwürdige daran ist, dass mein Vertrag mit dem Jugendamt weiter besteht und ich auch weiterhin mein monatliches Freihaltegeld bezahlt bekomme.

Nun habe ich erfahren – ich bin Mitglied bei www.pflegeeltern.de –, dass Bereitschaftspflegestellen nicht so einfach vom Jugendamt gekündigt werden können. Es müssen plausible Gründe, wie gravierendes Fehlverhalten, vorliegen. Bei einem Gespräch am 17.01.06 mit dem Leiter des Jugendamtes, um das ich selbst bat, stellte ich auch die Frage, warum ich keine Kinder mehr bekomme. Diese Frage beantwortete er mir ebenfalls damit, dass dies an den Mitarbeitern läge. Ich sagte, er solle doch die Mitarbeiter holen, die es betrifft, woraufhin er mir sagte, ich würde mit den Daten der Kinder etwas freizügig umgehen. Auf meine Frage „Wo?“, meinte er, bei den anderen Bereitschaftspflegestellen.

Dies konnte ich ihm damit erklären, dass wir vier Stellen uns gegenseitig besuchen, oft telefonieren und sich auch die Bereitschaftspflegekinder, je nach Alter, gegenseitig besuchen. Außerdem benötigen wir den Erfahrungsaustausch und die Hilfe untereinander, damit wir mit all den Problemen psychisch fertig werden. Obwohl in meinem Vertrag steht, dass wir Fortbildung bekommen - mündlich war schon oft von Supervisionen die Rede - habe ich in 6,5 Jahren nichts davon erhalten, genauso wenig wie die anderen Bereitschaftspflegeeltern. Leider haben die Mitarbeiter des Jugendamtes auch keine Zeit oder wollen keine Zeit haben. Darauf konnte er mir nichts mehr entgegenhalten.

Ich komme zu dem Schluss, dass man mich „aushungern“ will, in der Hoffnung, dass ich selbst kündige. Ich bin dem Jugendamt wohl zu unbequem. Selbständig denkende und handelnde Pflegeeltern sind nicht erwünscht. Aber ich habe noch immer das Ideal, dass das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen sollte.

Auf die Frage des Leiters teilte ich ihm mit, dass ich dem Jugendamt weiterhin zur Verfügung stehe, worauf er mir beim Abschied sagte, genauso hätte er sich das Gespräch vorgestellt. Am Tonfall erkannte ich, wie er es meinte.

Auf meine Erwähnung des Falles Z. ging er gar nicht ein, sondern teilte mir mit, dass kein Jugendamt solch einen Mitarbeiter hätte, der die Sprache und die Mentalität der Familien so gut verstehen würde, wie Herr C. Und er hätte schon oftmals Situationen entschärfen können, wo die deutschen Mitarbeiter keine Chancen gehabt hätten.

Aber bei mir hört das Lob auf einen Mitarbeiter auf, wenn er leichtfertig mit dem Leben einer Jugendlichen spielt. Und seine Mentalität rechtfertigt es nicht, dass er für die Eltern der türkischen Mädchen arbeitet. Ich kenne zwei Fälle, wo er Mädchen alles versprach, er würde in die Familie kommen, sich um sie kümmern usw. Als die Mädchen wieder zu Hause waren, dauerte es nicht lange, bis sie in der Türkei verschwunden und mit einem Verwandten verheiratet waren.

Ich lese immer wieder, dass die Vorsorgeuntersuchungen Pflicht werden sollen, um Kinder zu schützen.

Aber wer schützt die Kinder, wie im Fall Z., vor dem Jugendamt?

U.Z.

 

 

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