FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Nachrichten / Jahrgang 2002

 

Tagung „(Besuchs-)Kontakte zwischen Pflegekind und Herkunftsfamilie am Orientierungsmaßstab Kindeswohl“ der Stiftung zum Wohl des Pflegekindes


Klare Worte wurden auf dem 13. Tag des Kindeswohls der Stiftung zum Wohl des Pflegekindes am 29. April 2002 gesprochen. Rund 230 Personen waren in die Stadthalle Holzminden gekommen, um sich zum Thema „(Besuchs-) Kontakte zwischen Pflegekindern und Herkunftsfamilie am Orientierungsmaßstab Kindeswohl“ zu informieren und auszutauschen. Die TeilnehmerInnen setzten sich aus Pflegeeltern, MitarbeiterInnen der Fachdienste und auch einigen JuristInnen zusammen.

Der Stiftung zum Wohl des Pflegekindes war es bei dieser Tagung ein Anliegen, klar Stellung zu beziehen zum in der Praxis des Pflegekinderwesens sehr konträr diskutierten und gehandhabten Problem der (Besuchs-)Kontakte zwischen Pflegekindern und ihren Herkunftsfamilien.

Der Stiftungsvorsitzende Dr. Ulrich Stiebel sagte in seinen Begrüßungsworten, Berichte aus der Praxis ließen darauf schließen, dass das Umgangsrecht für Pflegekinder oft zur Umgangspflicht werde und vielfach gegen den Willen der Kinder praktiziert werde. Er führte aus: „Schlagworte wie Loyalitätskonflikte und Identitätsfindung prägen die Diskussion zum Thema „Besuchskontakte“. Noch viel zu wenig fließen die noch relativ neuen, jedoch für die Praxis des Pflegekinderwesens enorm bedeutsamen Erkenntnisse der Traumaforschung und auch die Erkenntnisse der Bindungstheorie in Bezug auf Auswirkungen von desorganisierten Bindungserfahrungen in die Arbeit für Pflegekinder ein.“

Hier setzte die Tagung an. In Vorträgen und Arbeitsgruppen wurden die wissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Disziplinen auf die Situation von Pflegekindern übertragen und auf dieser Grundlage definiert, wie das „Umgangsrecht“ für Pflegekinder gestaltet werden kann, um das „Wohl des Kindes“ zu gewährleisten. Dieser Begriff ist der Dreh- und Angelpunkt des § 1684 BGB, in dem das Umgangsrecht geregelt ist.

Dr. Martina Cappenberg stellte in ihrem Einführungsreferat „Überlegungen zum Beitrag der Bindungstheorie zur Beziehungsgestaltung und Gestaltung von Besuchskontakten bei Pflegekindern“ klar heraus, dass in der Arbeit für Pflegekinder die Bindungsforschung alleine nicht Maßstab sein darf und kann, sondern die Ergebnisse der Traumaforschung mit einfließen müssen.

Dr. Cappenberg sagte, die Erkenntnisse der Bindungsforschung zeigten klar, dass Kinder, die gravierende traumatische Erfahrungen gemacht hätten – und das sei bei der überwiegenden Zahl der Pflegekinder der Grund für die Herausnahme aus ihrer Herkunftsfamilie – häufig desorganisiertes Bindungsverhalten zeigen würden, ein krankmachendes, alle Lebensbereiche negativ beeinflussendes Verhalten.

Die Vermittlung in eine Pflegefamilie solle es dem Kind ermöglichen, im Rahmen der Integration seine hoch angstbesetzten und bedrohlichen Beziehungserfahrungen zu korrigieren und das erlebte Trauma zu verarbeiten.

Vor dieses Hintergrund führte sie aus, was Besuchskontakte mit ihren Herkunftseltern für diese Kinder bedeuten.

„Besuchskontakte führen dazu, dass der Elternstatus der leiblichen Eltern erhalten bleibt und somit die Angstbindung des Kindes; die leiblichen Eltern bleiben die Bezugspersonen, mit ihnen verbindet das Kind das Band der Bindung, wie John Bowlby es beschrieben hat. Auch können die Pflegeeltern nicht als Bezugspersonen wahrgenommen werden, nicht zuletzt bedingt dadurch, dass sie im Erleben der Kinder nicht als „sichere Basis“ wahrgenommen werden, da sie ja immer wieder den hoch bedrohlichen Kontakt zu ihren leiblichen Eltern unterstützen und begleiten. Korrigierende Beziehungs- und Bindungserfahrungen sind vor diesem Hintergrund ebenso unvorstellbar wie die Verarbeitung des Traumas.“

Dr. Arnim Westermann unterstrich in seinem Vortrag „Leitsätze zum Pflegekinderwesen“ (sie sind in Kurzform nachzulesen im 2. Jahrbuch des Pflegekinderwesens, Idstein 2000) das von Frau Dr. Cappenberg Gesagte. Er stellte zum Tagungsthema fest: „Ansprüche der leiblichen Eltern auf die Elternrolle, die in Rückführungsforderungen oder Forderungen nach regelmäßigen Besuchskontakten zum Ausdruck kommen, stellen die Zugehörigkeit des Kindes zu den Pflegeeltern in Frage. In diesem Fall kann das Kind keine sicheren Eltern-Kind-Beziehungen entwickeln und die traumatischen Erfahrungen nicht bewältigen. Die Institution Pflegefamilie verliert ihren Sinn, wenn Pflegeeltern als Helfer für die leiblichen Eltern, die ihre Pflichten und ihre Verantwortung für das Kind nicht wahrnehmen konnten, benutzt werden.“

Auch Prof. Dr. Salgo bezog in seinem Vortrag zur kindgerechten Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zu Umgangsfragen in die Praxis des Pflegekinderwesens klar Stellung: Er bemängelte die Rechtsprechung zu Umgangsfragen für Pflegekinder. Es sei eine unzulässige Gleichsetzung der Situation von Scheidungs- und Pflegekindern zu beobachten. Im Gegensatz zu Scheidungskindern könne beim Pflegekind nicht eine weitgehend störungsfreie Beziehung zu den Eltern als Regelfall unterstellt werden, sondern das Gegenteil. Er führte aus, dass die Pflicht und das Recht zum Umgang im Gesetz für Eltern verankert, für Kinder jedoch lediglich das Recht auf Umgang festgeschrieben sei. „Die Ablehnung des Umgangs durch das Pflegekind ...(steht) in den allermeisten Fällen der Ausübung des Umgangsrechts entgegen...Die Durchsetzung eines elterlichen Umgangsrechts gegen den erklärten Kindeswillen würde das Wohl des Kindes schwerstens beeinträchtigen.“ Seine eindeutige Stellungnahme zu den gesetzlichen Vorgaben: „Es bleibt bei aller Umgangsoffenheit des Kindschaftsrechtsreformgesetzes dabei, dass Umgang weiterhin immer auszuschließen ist, wenn der Umgang zu Gefährdungen des Kindes führt.“ Und weiter: „Solange bei traumatisierten Kindern von Umgangskontakten mit ihren Eltern Gefährdungen ausgehen und Rückschläge für ihre Entwicklung zu befürchten sind, müssen erforderlichenfalls elterliche Umgangsrechte Beschränkungen erfahren.“ Er betonte, dass das KindRG nachweislich die Anzahl der Fälle von Umgangsausschluss oder Umgangsbeschränkung bei Scheidungskindern begrenzen wollte, zu Möglichkeiten und Grenzen des Umgangs von „fremdplatzierten“ Kindern habe sich der Gesetzgeber nicht geäußert. Auch in den Gesetzeskommentierungen und in der Fachiteratur sei zu Umgangsregelungen für Pflegekindern so gut wie nichts zu finden.

Am Nachmittag wurde in 3 parallel angebotenen Arbeitsgruppen das Tagungsthema aus der Sicht des Pflegekindes, der Herkunftseltern und der jugendamtlichen und gerichtlichen Praxis beleuchtet. (Die geplante Arbeitsgruppe zum Thema „Pflegeeltern und (Besuchs-)Kontakte“ kam wegen Erkrankung der Referentin nicht zustande.) Lebhafte und zum Teil konträr geführte Diskussionen prägten die Gruppenarbeit und auch die von Frau Prof. Dr. Gisela Zenz geleitete Plenumsdiskussion zum Ausklang der Veranstaltung.

Die Referate der Tagung werden - neben vielen weiteren Aufsätzen - im 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens nachzulesen sein. Es erscheint voraussichtlich Mitte des Jahres 2003.

Last but not least: Ein Höhepunkt der Tagung war die Verleihung des 2. Förderpreises für herausragende Arbeiten im Dienste von Pflegekindern. Aus 15 eingereichten Arbeiten wurden durch die Jury drei wissenschaftlich begleitete Praxisprojekte ausgewählt. Mit dem Hauptpreis, der mit 2.500,-- Euro dotiert war, wurden die Mitarbeiter des Fachbereiches Schule und Jugend/Bereich Hilfe zur Erziehung der Stadt Herten Wolfgang Behr und Heinzjürgen Ertmer und die Dipl. Psychologin Katja Nowacki für ihr Projekt „15 Jahre Vermittlung von Pflegekindern durch den Pflegekinderdienst der Stadt Herten – Studie zur Qualitätsentwicklung“ ausgezeichnet. Weitere Preisträger waren Christoph Malter und Prof. Dr. Kurt Eberhard als federführende Mitarbeiter der Berliner Arbeitsgemeinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP) in Berlin für das Projekt „Entwicklungschancen für vernachlässigte und misshandelte Kinder in sozialpädagogisch und psychotherapeutisch betreuten Pflegefamilien" und Martin Janning stellvertretend für das Team des Caritas-Kinder- und Jugendheimes Rheine für die Arbeit „Therapeutische Übergangshilfe des Caritas-Kinder- und Jugendheimes Rheine“. Beide Preise waren mit jeweils 1.000,-- Euro dotiert.

Die Laudatio zu den Projekten kann im Internet unter www.stiftung-pflegekind.de oder unter www.agsp.de eingesehen werden. Die ausführlichen Projektbeschreibungen sind gegen einen geringen Unkostenbeitrag bei der Stiftung zum Wohl des Pflegekindes, Wilhelmshütte 10 a, 37603 Holzminden, e-mail 055315155@t-online.de zu beziehen.
Stiftung Zum Wohl des Pflegekindes, Juni 2002

 

 

[AGSP] [Aufgaben / Mitarbeiter] [Aktivitäten] [Veröffentlichungen] [Suchhilfen] [FORUM] [Magazin] [JG 2011 +] [JG 2010] [JG 2009] [JG 2008] [JG 2007] [JG 2006] [JG 2005] [JG 2004] [JG 2003] [JG 2002] [JG 2001] [JG 2000] [Sachgebiete] [Intern] [Buchbestellung] [Kontakte] [Impressum]

[Haftungsausschluss]

[Buchempfehlungen] [zu den Jahrgängen]

Google
  Web www.agsp.de   

 

 

 

 

 

simyo - Einfach mobil telefonieren!

 


 

Google
Web www.agsp.de

 

Anzeigen

 

 

 

 


www.ink-paradies.de  -  Einfach preiswert drucken