FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2001

 

Sabine Kötter

Besuchskontakte in Pflegefamilien

Das Beziehungsdreieck „Pflegeeltern – Pflegekind – Herkunftseltern“

S. Roderer Verlag, Regensburg, 2. Aufl., 1997

ISBN 3-89073-183-X, DM 48.-

 


Mit einer umfangreichen empirischen Untersuchung liefert Sabine Kötter einen bedeutenden Beitrag und Orientierungshilfen für die Gestaltung von Besuchskontakten zwischen Pflegekindern und ihren Herkunftseltern.

„In den letzten Jahren haben sich in Abgrenzung voneinander zwei Richtungen im Pflegekinderwesen entwickelt. Die eine Seite bezieht sich vor allem auf individuumzentrierte, entwicklungspsychologische Konzepte, d.h. auf die Bindungstheorie von Bowlby (1969, 1973) und auf Aspekte der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie. Ihre Hauptvertreter Nienstedt und Westermann (1990) orientieren sich vornehmlich am Wohl des Pflegekindes. Die andere Seite, deren differenzierte Ausformulierung noch aussteht, bezieht sich in erster Linie auf systemische Konzepte der Familienforschung. Ihre Vertreter, vor allem das Deutsche Jugendinstitut (1987), stellen die gesamte Pflegefamilie einschließlich der Herkunftsfamilie des Pflegekindes, insbesondere seiner Herkunftseltern, in den Mittelpunkt ihrer Theorienbildung und Praxis.
Zwischen diesen beiden Richtungen hat sich eine polarisierte Auseinandersetzung entwickelt, deren Kristallisationspunkt die Auffassung der Pflegefamilie als Ersatz- oder als Ergänzungsfamilie ist und die sich in der Praxis vor allem in der Befürwortung oder Ablehnung von Besuchskontakten zwischen dem Pflegekind und Mitgliedern seiner Herkunftsfamilie während des Pflegeverhältnisses manifestiert. Die Vertreter des individuumzentrierten Ersatzfamilienkonzeptes (Nienstedt und Westermann 1990) fordern bei traumatischen Erfahrungen des Pflegekindes, die sie für einen Großteil der fremdplazierten Kinder annehmen, einen weitgehenden Ausschluß vor allem der Herkunftseltern aus dem Pflegeverhältnis, um ihren traumatisierenden Einfluß auf die Entwicklung des Pflegekindes durch eine entwicklungsfördernde Beziehung zwischen Pflegekind und Pflegeeltern nach dem Vorbild von Eltern-Kind-Beziehungen in Normalfamilien zu ersetzen. Für das Deutsche Jugendinstitut, den Hauptbefürworter des an der systemischen Familienforschung orientierten Ergänzungsfamilienkonzeptes in der Bundesrepublik Deutschland, ist dagegen die Beziehung zwischen Pflegekind und Herkunftseltern identitätsbildend und damit erhaltenswert. Dieser Ansatz sieht die Zusammenarbeit von Pflegeeltern und Herkunftseltern in einem "erweiterten Elternsubsystem" sowie regelmässige Besuchskontakte zwischen Pflegekind und Herkunftseltern vor. Beide theoretischen Konzepte können bisher nicht auf spezifische wissenschaftliche Studien zum Einfluß von Besuchskontakten zwischen dem Pflegekind und seinen Herkunftseltern auf die Entwicklung des Pflegekindes und der gesamten Pflegefamilie zurückgreifen. Trotzdem führt diese theoretisch-wissenschaftliche Polarisierung mittlerweile auch in der Praxis des Pflegekinderwesens zu einer Spaltung der Mitarbeiter der Jugendämter.“ (S. 1f)

Kötter bemerkt ein verstärktes „öffentliches und wissenschaftliches Interesse“ an Pflegekindern und Pflegefamilien seit den 70er Jahren, führt eine große Fülle von Fachliteratur an und konstatiert dennoch:

„In der Diskussion um die Besuchskontakte fehlen bisher theoretisch und empirisch abgesicherte Kriterien, die bei einer Entscheidung für oder gegen Besuchskontakte wegweisend sein könnten. Aus diesem Grund muß das langfristige Ziel der empirischen Forschung (ähnlich wie in der familientherapeutischen Indikationsforschung) die Entwicklung von Kriterien sein, die bei der Entscheidung für oder gegen die Durchführung von Besuchskontakten relevant sein könnten.“
(S. 86)

Nach einigen Zweifeln an der Übertragbarkeit amerikanischer Untersuchungen auf deutsche Verhältnisse fasst Kötter jene wie folgt zusammen:

„Trotzdem lassen die vorliegenden neueren Untersuchungen hinsichtlich der Auswirkungen von Besuchskontakten auf langfristig angelegte Pflegeverhältnisse einige vorsichtige Schlüsse zu, die jedoch einer weiteren Überprüfung bedürfen. Eine Anzahl von Untersuchungen spricht dafür, daß sich Besuchskontakte zwischen dem Pflegekind und seinen Herkunftseltern auf das Pflegekind kurzfristig positiv, langfristig eher negativ auswirken. Dagegen spricht lediglich eine Studie, die den fehlenden Kontakt als mitverantwortlich für den Abbruch eines Pflegeverhältnisses ansieht. Auch scheint theoretisch sowie empirisch vieles für die Tendenz der Pflegeeltern zu sprechen, die Herkunftseltern real und gedanklich aus dem Pflegeverhältnis auszuschließen.“ (S. 107)

Ihre eigene Untersuchung umfasst 51 vollständige Dauerpflegefamilien der Stadt Herten mit laufenden oder abgebrochenen Kontakten sowie solche ohne Kontakte des Pflegekindes zu seinen Herkunftseltern. 78,4% der Kinder hatten traumatische Erfahrungen gemacht und 82,4% erlebten vor der Aufnahme in die Pflegefamilie wechselnde Bezugspersonen. Herausragend ist der folgende Befund, weil er Hinweise auf die Auswirkungen der Kontakte zur Herkunftsfamilie bietet.

„Was den Einfluß von Kontakten auf die Beziehung des Pflegekindes zu seinen Herkunftseltern betrifft, zeigen sich in dieser Untersuchung deutliche Ergebnisse. So bleibt nur bei kontinuierlichen Kontakten eine - wenn auch eher lockere - Beziehung zwischen Pflegekind und Herkunftseltern erhalten. Gleichzeitig werden durch Kontakte aber auch Loyalitätskonflikte des Pflegekindes im Beziehungsdreieck und negative Symptome (Verhaltensstörungen) wahrscheinlicher. Auch spricht der fehlende Unterschied in der Thematisierung der Herkunftsfamilie in Pflegefamilien ohne Kontakte und mit laufenden Kontakten dafür, daß Kontakte nicht unbedingt notwendig sind, um die Herkunftsfamilie in der Pflegefamilie zu thematisieren, auch wenn sie das Wissen der Pflegeeltern über sie erhöhen. Beide Ergebnisse stehen im Widerspruch zu den Hypothesen des Deutschen Jugendinstituts, die davon ausgehen, daß gerade Kontakte Loyalitätskonflikte verhindern und die Thematisierung der Herkunftsfamilie in der Pflegefamilie erleichtern (vgl. Gudat 1987b). Schädlich auf die Einstellung des Pflegekindes zu seinen Herkunftseltern scheint sich der Abbruch von zunächst bestehenden Kontakten auszuwirken. So läßt sich bei diesen Plegekindern, anders als bei solchen mit laufenden Kontakten, keine emotionale Beziehung zu ihren Herkunftseltern nachweisen. Auch thematisieren diese Pflegekinder ihre Herkunftsfamilie weniger als die Pflegekinder der beiden anderen Gruppen. Es ist zu vermuten, daß damit das Risiko steigt, daß eine ausreichende Verarbeitung der pflegekindlichen Geschichte in der Pflegefamilie nicht gelingt.“
(S. 236f)

Das für alle Pflegeeltern und deren Berater sehr lesenswerte Buch von Sabine Kötter kann beim Roderer-Verlag bestellt werden. (www.roderer-verlag.de)
Weitere Informationen zu den Risiken, die bei Kontakten zwischen traumatisierten Kindern und traumatisierenden Eltern beachtet werden müssen, finden Sie bei
Susanne Lambeck, im 1. Jahrbuch und 2. Jahrbuch des Pflegekinderwesens und in unseren Erfahrungsberichten (IPP-Bericht, Das Kindeswohl auf dem Altar des Elternrechts).

Christoph Malter (Juli 01)

 

 

Liste der rezensierten bzw. präsentierten Bücher

[AGSP] [Aufgaben / Mitarbeiter] [Aktivitäten] [Veröffentlichungen] [Suchhilfen] [FORUM] [Magazin] [JG 2011 +] [JG 2010] [JG 2009] [JG 2008] [JG 2007] [JG 2006] [JG 2005] [JG 2004] [JG 2003] [JG 2002] [JG 2001] [JG 2000] [Sachgebiete] [Intern] [Buchbestellung] [Kontakte] [Impressum]

[Haftungsausschluss]

[Buchempfehlungen] [zu den Jahrgängen]

Google
  Web www.agsp.de   

 

 

 

 

 

simyo - Einfach mobil telefonieren!

 


 

Google
Web www.agsp.de

 

Anzeigen

 

 

 

 


www.ink-paradies.de  -  Einfach preiswert drucken