FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2007

 

Wolfram Ehlers und Alex Holder

Psychologische Grundlagen, Entwicklung und Neurobiologie

Mit einer Einführung
 von Christa Rohde-Dachser
und Beiträgen von Uwe Heinemann
und Hannelore Stenzel

Band 1 aus der Reihe
Basiswissen Psychoanalyse
herausgegeben von Wolfram Ehlers

Klett-Cotta 2007
(301 Seiten, 29,50 Euro)
 

Die Autoren:
Ehlers, Wolfram
- Privatdozent, Dr. med, Dipl.-Psych., Psychoanalytiker,  Facharzt für psychotherapeutische Medizin, Dozent am Institut für Psychoanalyse der DPG in Stuttgart, Praxis als Psychologischer Psychotherapeut in Stuttgart.
Heinemann, Uwe - Prof. Dr. med., Geschäftsführender Direktor des Institutes für Physiologie der Charite, Gründungsdirektor des interdisziplinären Neurowissenschaftlichen Forschungszentrums der Charite in Berlin.
Holder, Alex - Dr. phil., Dipl.- Psych., Psychoanalytiker für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Hamburg. Mitglied der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung und der British Psychoanalytical Society. 
Rohde-Dachser, Christa - Prof. Dr. rer. pol., Dr. biol. hum. habil., Soziologin und Psychoanalytikerin, 1987-2003 Professorin an der Universität Frankfurt/M., Gründerin des Institutes für Psychoanalyse der DPG in Frankfurt/M.,  Lehranalytikerin in Hannover.
Stenzel, Hannelore - Dr. med., Psychoanalytikerin, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherap. Medizin. Dozentin am Institut für Psychoanalyse der DPG in Stuttgart (Lehr- und Kontrollanalytikerin), Praxis als analytische Psychotherapeutin in Leutenbach.

Das Programm (aus dem Vorwort von Ehlers):
»Dieses Buch ist der erste Band einer auf sechs Bände angelegten Reihe, die für Psychologen und Pädagogen gedacht ist, die eine Ausbildung in analytischer Psychotherapie (AP), Tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie (TfP) und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie (KJP) beginnen oder begonnen haben, und natürlich für ihre Dozenten. Ebenso könnten Ärzte interessiert sein, die eine systematische psychologische Ausbildung in der Psychoanalyse suchen. Die Didaktik der Reihe sollte es aber auch Nachbarwissenschaftlern ermöglichen, sich über den Wissensstoff der Psychoanalyse zu informieren.
     Die Studierenden benötigen eine Übersicht über die Unterrichtsgegenstände, die sie an die Originaltexte heranführt und ihnen mögliche Rezeptionswege aufzeigt. Gemäß der Definition des Gesetzgebers der Bundesrepublik Deutschland soll der Psychologische Psychotherapeut sowohl das Gesamtgebiet der Psychotherapie überblicken und sein Wissen in einer schriftlichen Prüfung nachweisen als auch eine Vertiefungsrichtung (Analytische Psychotherapie, Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie oder Verhaltenstherapie) wählen, in der er sich spezialisiert.
     Die Auflistung von Unterrichtsgegenständen des Instituts für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) gibt für den Unterricht eine Richtung vor, die im Widerspruch zu den praktischen Erfordernissen der Ausbildung in der Vertiefungsrichtung Psychoanalyse steht. Hier versucht die Reihe zum Basiswissen der Psychoanalyse eine Brücke zu bauen.
     Die Gegenstände des IMPP-Kataloges (GK) erfordern bei der Darstellung des psychotherapeutischen Stoffes in großem Umfang die Berücksichtigung medizinischer Inhalte. Die Tätigkeit in der Praxis macht eine strikte Trennung der Vertiefungsrichtungen Psychoanalyse und Verhaltenstherapie erforderlich. Somit sollte der Unterricht von Beginn an eine Profilierung in der gewählten Vertiefungsrichtung garantieren, auch wenn alle Prüfungsgegenstände abgefragt werden können.
     Die vorliegende Reihe zum Basiswissen geht daher den Weg der Praxis und versucht, den Wissensstoff für die Vertiefungsrichtungen Analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie unter dem Oberbegriff der Psychoanalyse zu vermitteln. Diese Spezialisierung gilt auch für die Ausbildung in der Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie. Aus dieser methodischen Perspektive werden aber auch Gegenstände der Verhaltenstherapie (Lernen, Gedächtnis, Kognition) behandelt, damit die Studierenden der Vertiefungsrichtungen auch zu dem in der Praxis nicht erprobten Stoff einen Zugang finden. Der vorliegende Band konzentriert sich auf die psychologischen und biologischen Grundlagen der Psychotherapie, einschließlich der Entwicklungsaspekte in der Psychoanalyse (Gegenstand 1 des GK des IMPP).«

Das Inhaltsverzeichnis:

Vorwort

1.   Einführung: Theoriegeschichte der Psychoanalyse
1.1 Leben und Werk Sigmund Freuds
1.2 Verbreitung der Psychoanalyse in Deutschland
1.2.1 Gründung der IPV in Nürnberg 1908
1.2.2 Emigration jüdischer Psychoanalytiker
1.2.3 Spaltung und Neugründung nach 1949
1.2.4 Psychoanalyse und Sozialwissenschaft
1.3 Theoriegeschichte
1.3.1 Triebtheorie und Strukturmodell
1.3.2 Ich-Psychologie
1.3.3 Objektbeziehungstheorie
1.3.4 Selbstpsychologie

2.   Entwicklungspsychologische Grundlagen der Psychoanalyse
2.1  Metapsychologische Perspektiven der Psychoanalyse
2.1.1 Das Konzept des psychischen Apparates
2.1.2 Das Konzept der psychischen Energie
2.1.3 Die zentrale Bedeutung des Unbewussten
2.1.4 Der Traum als Königsweg zum Unbewussten
2.1.5 Die Metapsychologie
2.2  Psychoanalytische Grundannahmen der Entwicklung
2.2.1 Vererbung und Erfahrung
2.2.2 Entwicklung und Reifung
2.2.3 Psychische Prozesse
2.2.4 Primär- und Sekundärvorgang
2.2.5 Triebe und Triebschicksale
2.3  Die Entwicklung von Trieb, Selbst und Objektbeziehungen.
2.3.1 Psychosexuelle Phasen der Triebentwicklung.
2.3.2 DieEntwicklungdesSelbst
2.3.3 Die Entwicklung innerer Objekte und Objektbeziehungen
2.4  Psychoanalytische Entwicklungstheorien
2.4.1 Sigmund Freud
2.4.2 Die ichpsychologische Entwicklungstheorie
2.4.3 Die Objektbeziehungstheorie von Melanie Klein
2.4.4 Die Entwicklungstheorie von Margaret Mahler
2.4.5 Die Entwicklungstheorie von Heinz Kohut
2.4.6 Die Entwicklungstheorie von Daniel Stern
2.4.7 Bindungstheorie und Psychoanalyse

3. Psychologische Grundlagen der Psychoanalyse
3.1  Allgemeine Krankheitslehre der Psychoanalyse
3.1.1 A11gemeine Aspekte von Krankheit
3.1.2 Modellvorstellungen von Gesundheit
3.1.3 Multifaktorielle Modelle psychischer Störungen
3.2  MethodischeGrundlagen
3.2.1 Der naturwissenschaftliche Beobachter
3.2.2 Die kulturwissenschaft1iche Forschungsposition
3.2.3 Ziele und Strategien der Psychotherapieforschung
3.2.4 Psychoanalytische Methoden der Ätiologieforschung
3.3  Struktur und Funktion der Psyche
3.3.1 Normalwissenschaft1iche Theorien in der Psychoanalyse
3.3.2 Klinische Psychologie und Psychoanalyse
3.3.3 Die Struktur der Psychoanalytischen Theorie
3.4  Grundannahmen zu Struktur und Funktion des Bewusstseins
3.4.1 Organisationsformen des Bewusstseins
3.4.2 Die experimentelle Untersuchung des Bewusstseins
3.4.3 Das topographische Modell
3.4.4 Traumtheorie, Traumbildung, Traumarbeit, Traumanalyse
3.5  Motivations- und emotionspsychologische Grundlagen
3.5.1 Psychodynamische Grundlagen der Triebtheorie
3.5.2 Spezielle Motivationsformen
3.5.3 Komponenten und Funktionen von Emotionen
3.5.4 Motivationstheorie und Persönlichkeitsstruktur
3.6  Grundlagen von Lernen, Gedächtnis, Kognition
3.6.1 Lernen
3.6.2 Gedächtnis
3.6.3 Kognition: Wahrnehmen, Erkennen, Denken, Bewusstsein
3.6.4 Stadien der kognitiven Entwicklung
3.6.5 Denkformen im Primär- und Sekundärprozess

4.   Medizinische Grundkenntnisse: Aufbau des Nervensystems
4.1 Anatomie und Funktion des Nervensystems
4.2 EntwicklungdesNervensystems

5.   Neurologische und psychiatrische Erkrankungen
5.1  Entwicklung von Krankheitsmodellen
5.2  Schizophrenie
5.3  Affektive Störungen
5.4  Gedächtnisstörungen
5.5  Motorik- und Handlungsstörungen
5.5.1 Parkinson (Akinesie)
5.5.2 Schlaganfall und spastische Parese
5.5.3 Epilepsie (psychomotorisches Anfa1lsgeschehen)

6.   Neurobiologische und biopsychologische Grundlagen
6.1  Neuropsychoanalyse, Neuropsychologie und Neurobiologie
6.2  Schlaf, Aktivierung und Triebrepräsentanz
6.2.1 Steuerung des Schlafes und der Wachheit
6.2.2 Hirnmodell der Traumfunktion
6.2.3 Kortikale Aktivierung: Wachheit und Bewusstseinslage
6.2.4 Aufmerksamkeitssteuerung
6.2.5 Spezifische Aktivierung: Vigilanz und Schreck
6.2.6 Motivationssteuerung von Nahrungssuche und Fortpflanzung
6.2.7 Nach innen gerichtete Wahrnehmungsoberfläche (Interozeption)
6.3  Informationsaufnahme - Speicherung und Objektrepräsentanz
6.3.1 Reiz-Aufnahme und -Verarbeitung (Wahrnehmung)
6.3.2 Bewusstsein der nach außen gerichteten Wahrnehmungsoberfläche
6.3.3 Wahrnehmungsbewusstsein und Gedächtnis
6.3.4 Speicherfunktionen und Bewusstsein
6.3.5 Gedächtnisformen und Objektrepräsentanz
6.4  Zielgerichtetes Handeln: Programmierung, Steuerung, Kontrolle
6.4.1 Neurobiologie der Ziel- und Greifbewegungen
6.4.2 Neuropsychologie der Emotionen und des Verhaltens
6.4.3 Neuropsychoanalyse des zielgerichteten Handelns und Sprechens

Literaturverzeichnis

Freud-Literatur

Personenregister

Sachregister

Register der zitierten Schriften Freuds

Die Autorinnen und Autoren

Zur Demonstration von Inhalt und Stil der Darstellung folgt aus jedem Hauptkapitel eine Textprobe:

Aus dem historischen Einführungskapitel von Rohde-Dachser:
»Nach dem Zusammenbruch des 'Dritten Reichs' entstand unter den deutschen Psychoanalytikern die Frage, ob und wie sich die deutsche Psychoanalyse erneut der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) anschließen konnte, in der auch die emigrierten jüdischen Psychoanalytiker aus Deutschland ihre neue Heimat gefunden hatten. Unter dem Einfluss von Müller-Braunschweig wurde auf dem Psychoanalytischen Kongress in Zürich 1949 der Anschluss an die Internationale Psychoanalytische Vereinigung gesucht. Der Versuch scheiterte zunächst an einem Referat von Schultz-Hencke, in dem größere Abweichungen von der Freud'schen Lehre sichtbar wurden. Unter diesem Eindruck gründeten einige Mitglieder der DPG, darunter Müller-Braunschweig, 1950 in Berlin die 'Deutsche Psychoanalytische Vereinigung' (DPV). Ihr Ziel war, sich von den abweichenden Positionen Schultz-Henckes zu distanzieren und möglichst schnell wieder Anschluss an die Freud'sche Psychoanalyse zu finden. Auf dem psychoanalytischen Kongress in Amsterdam (1951) wurde die DPV in die IPV aufgenommen, während der DPG dies zu diesem Zeitpunkt nicht gelang. In der Folgezeit gab es zwischen den beiden psychoanalytischen Gesellschaften immer wieder wechselseitige Zuschreibungen, die mit der Frage zusammenhingen, wer für die Schuld gegenüber den jüdischen Psychoanalytikern verantwortlich zeichne. ……
     Im Jahr 1994 fand zum ersten Mal eine gemeinsame Reise von Mitgliedern der DPV und der DPG nach Israel statt, um sich dort, an Ort und Stelle, zusammen mit israelischen Kollegen mit der Vergangenheit der Psychoanalyse in Deutschland zu konfrontieren. Die Analytiker, die an dieser Reise teilgenommen haben, haben dabei eine gemeinsame Sprache gefunden. Mittlerweile ist auch diese Diskussion zwischen den beiden psychoanalytischen Verbänden in vollem Gange.« (S. 16/17)

Aus dem entwicklungspsychologischen Kapitel von Holder:
»Stern ist kein Psychoanalytiker, sondern ein Säuglings- und Kleinkindforscher, der jedoch wichtige Thesen bezüglich der intrapsychischen Prozesse während der ersten Lebensjahre und der frühesten Interaktionen zwischen einem Säugling und seiner Mutter aufgestellt hat. Dabei hat sich Stern vor allem um das Verstehen der affektiven Komponenten bemüht, sowohl intrapsychisch im Erleben des Säuglings als auch im Kontext des affektiven Dialogs zwischen Mutter und Kind.
     Eines seiner zentralen Konzepte ist das des 'Selbstempfindens', für ihn das primäre psychische Organisationsprinzip. Dabei unterscheidet er vier aufeinander folgende Phasen des Selbstempfindens: Bis zu einem Alter von etwa zwei Monaten spricht er vom Empfinden des 'entstehenden Selbst'; von zwei bis sechs Monaten bildet sich das Empfinden des 'Kern-Selbst' heraus; zwischen sieben und neun Monaten herrscht das Empfinden des 'subjektiven Selbst' vor; und ab fünfzehn Monaten kommt dann noch das Empfinden des 'verbalen Selbst' hinzu. All diese Entwicklungen ereignen sich in der interpersonellen Verbundenheit mit der Mutter, so dass jede Phase des Selbstempfindens eine neue Form sozialer Bezogenheit definiert, also ein Nebeneinander von 'Empfinden des eigenen Selbst', 'Selbstempfinden mit dem anderen' und 'Empfinden des anderen'.
     Sterns Verhaltensbeobachtungen von Mutter-Säuglings-Interaktionen und die Schlüsse, die er daraus gezogen hat, haben unser Wissen um früheste präverbale Prozesse sehr erweitert; vor allem wird auch der Wichtigkeit der affektiven Elemente im Dialog zwischen Mutter und Säugling durch sein Konzept der 'Affektabstimmung' gebührend Rechnung getragen. So hat Stern z. B. aufgezeigt, dass eine nicht geglückte affektive Abstimmung zwischen Mutter und ihrem Säugling zu deutlichen Störungen in der Befindlichkeit und im Verhalten eines Säuglings führt (1984).« (S. 56/57)

Aus dem Grundlagen-Kapitel von Ehlers und Stenzel:
»Im Sinne einer Theorie der subjektiven Bedürfnisse werden fünf motivationale Systeme unterschieden:
     Ein erstes motivationales System besteht in der Notwendigkeit, physiologische Bedürfnisse zu befriedigen. Dieses System umfasst die Regulation von Hunger, Atmung, Wärme, Ausscheidung, Gleichgewicht und Schlaf. Die Mutter ist normalerweise darauf eingestellt, auf das biologisch motivierte Kind zu reagieren, das Störungen in diesem Bereich signalisiert. Durch das Motiv Hunger z. B. kommt beim Kind ein Prozess der Selbstorganisation in Gang: Das Kind hat die Wahrnehmung 'Hunger', diese wird von der Mutter erkannt und angemessen beantwortet, und das Kind erkennt den Übergang von Hunger in Sattheit.
     Regulationsstörungen aus sämtlichen physiologischen Bereichen können im späteren Leben und in Regressionszuständen als spezifische Residuen in Erscheinung treten, wie z. B. bei den Essstörungen oder anderen psychosomatischen Erkrankungen.
     Ein zweites System steuert das Bedürfnis nach Bindung, das sich später, im weiteren Verlauf des Lebens, in dem Bedarf nach Verbundenheit äußert (attachment/affiliation). Durch die wiederkehrende Interaktion von physiologischer Bedürfnisbefriedigung zwischen Säugling und Mutter wird immer wieder auch das System der Bindung aktiviert. Dieses motivationale System umfasst im Säuglingsalter das Suchen, Greifen, Klammern, Einkuscheln. Später erweitert es sich zu den Fähigkeiten der Verbundenheit schaffenden Kommunikation, die eine Fähigkeit zum emotionalen Teilen mit anderen einschließt. Säuglinge betrachten die Mutter zunächst als Wegweiser und Orientierungsfigur: Intuitiv halten Mütter ihre Kinder nahe an ihr Gesicht, sprechen melodisch, vereinfacht und übertrieben affektiv. 10 Tage alte Säuglinge können diese übertriebenen Affekte bereits imitieren, die Aufmerksamkeit ihrer Mütter fesseln und sie im Kontakt halten.
     Später zeigen die Kinder den Geschwistern und Haustieren gegenüber auch ein altruistisches Verhalten, das ein Teilen der Bindungsgefühle zum Ziel hat. Die Erweiterung der Dyade Mutter-Kind zur Triade führt dann zu den Spannungen der ödipalen Entwicklungsphase mit ihren typischen Konflikten. Aber auch schon in der Dyade können durch die Beimischung von Aktivitäten aus dem aversiven System Motivkonflikte entstehen, durch die affektive Wahrnehmungs- und Handlungsmuster von ambivalenten und ängstlich verweigernden Kindern geprägt sind. Die verschiedenen Erscheinungsformen von Bindungsmotiven bleiben das ganze Leben über bestehen und äußern sich in der Sehnsucht nach affektiver Übereinstimmung, nach empathischer Resonanz, nach Begleitung beim Entlasten von Schmerz, nach Trost, nach dem Miteinander-Teilen von Verbundenheit und nach Idealisierung.
     Ein drittes System umfasst das Bedürfnis nach Selbstbehauptung und Erkundung (assertion and exploration). Entgegen der früheren psychoanalytischen Annahme über den 'rekonstruierten' Säugling, der im primären Narzissmus passiv gefangen ist, zeigt das beobachtete 'kompetente' Neugeborene schon in den ersten 4 Monaten ein starkes Bedürfnis nach Erkundung, so dass eine angeborene Tendenz postuliert wird, auf Kompetenz und Effektivität hinzuarbeiten und Freude zu erleben, wenn die Außenwelt eine erfolgreiche Erkundungsaktivität zulässt. ... [es folgen zwei weitere motivationale Systeme] (S. 138/139)

Aus dem Kapitel über den Aufbau des Nervensystems von Heinemann und Ehlers:
»Die Entwicklung des Zentralnervensystems (ZNS) ist zunächst genetisch gesteuert. Aber je weiter die Embryonalentwicklung fortschreitet, umso größer wird die Anfälligkeit für Schädigungen durch die Umwelt des Fötus. Erbe und Umwelt beginnen bereits jetzt in Interaktion zu treten. Die Migration von Nervenzellen kann bei fötalen Entzündungsprozessen und toxischen Einwirkungen von Alkohol und anderen Suchtmitteln gestört werden. Eine Alkoholeinwirkung kann darüber hinaus die Entwicklung neuromodulatorischer Systeme (Transmitter als Botenstoffe der Neurone} beeinflussen, die bei der späteren nutzungsabhängigen Entwicklung des Nervensystems von Bedeutung sind. Aufgrund der Plastizität und der Abhängigkeit des ZNS von kritischen Entwicklungsphasen sind eine ausreichende Nutzung der sensorischen Stimulation und Erfahrungsbildung mit der Außenwelt Voraussetzung einer normalen Hirnentwicklung und Reifung. Durch Infektionen und toxische Substanzen betroffene Kinder können weniger von der erfahrungsabhängigen Modulation des angelegten Nervensystems profitieren und müssen später mehr Konzentrationsleistungen aufbringen, um zu lernen. Die ektopisch liegenden Nervenzellen können auch die Ursachen von Epilepsien sein. Entwicklungsstörungen werden aber auch häufig in Gehirnen verstorbener Schizophreniepatienten nach gewiesen.« (S. 180/181)

Aus dem neurologisch/psychiatrischen Kapitel von Heinemann und Ehlers:
»Abzugrenzen von den endogenen Depressionen sind neurotische Depressionen (Dysthymien), bei denen lebensgeschichtliche Dispositionen, wie frühe Trennungen, Verluste, Entbehrungen, aber auch Verwöhnungen nachzuweisen sind, die zu typischen seelischen Grundkonflikten führen. Die Konflikte kreisen um orale und aggressive Selbstbehauptung. Die Affektstörung ist durch Unterdrückung von aggressiven Affekten und Impulsen gekennzeichnet, die im Zusammenhang mit der Selbstbehauptung und der Regulierung des Selbstwertgefühls (narzisstische Persönlichkeitsstörung) auftauchen. ……
     Die Behandlung der Depressionen wird in der stationären Therapie durch verschiedene psychotherapeutische Kurzzeitpsychotherapien, die sich nicht der Psychoanalyse verpflichtet fühlen (wie z.B. kognitive Verhaltenstherapie; siehe 3.6.1), erfolgreich unterstützt. Klinische Studien (Hoffmann & Schauenburg, 2004) zeigen eine bessere Wirksamkeit in der Behandlung von Depressionen, wenn psychotherapeutische mit medikamentösen Behandlungen kombiniert werden.« (S. 193/194)

Aus dem neurobiologisch/biopsychologischen Kapitel von Heinemann und Ehlers:
»Insbesondere die absteigenden Fasern, die vom präfrontalen Kortex zu den Kernen des Thalamus und des Hirnstamms laufen, bilden ein System, mit dem die höheren Ebenen des Kortex, die unmittelbar an der Bildung von Absichten und Plänen beteiligt sind, die niederen Systeme der retikuläre Formation des Thalamus und des Hirnstamms sowie das limbische System ansteuern. Die Forschung der letzten zehn Jahre hat aber gezeigt, dass hierbei genauer zwischen präfrontalem Kortex und orbitofrontalem Kortex unterschieden werden muss.
     So bilden der orbitofrontale und der cinguläre Kortex eine dritte Funktionsebene des limbischen Systems zur Kontrolle der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung durch Überwachung des zielgerichteten Handeins in Zusammenhang mit dem Aufschub der Triebbefriedigung. ….
     Die Reifungsentwicklung des frontalen Kortex scheint auch mit den Entwicklungskrisen im Alter von etwa 3-5 Jahren (infantile Amnesie für ödipal-sexuelle Wünsche) zu korrelieren. Ebenso scheinen die pubertären Konflikte bei der sozialen und ethischen Überwachung von Emotionen und Motivationen mit der verzögerten Fähigkeit zur Kontrolle des limbischen Systems (erhöhte sexuelle Stimulation) durch den 'orbitofrontalen Kortex beeinflusst zu sein. Präfrontale Läsionen beim Menschen zeigen die Auswirkung der eingeschränkten Handlungsplanung auf die Persönlichkeit des Patienten, wobei aber auch immer Funktionen des orbitofrontalen und des cingulären Kortex beteiligt sein können. ….
     Die in einer Übertragungssituation zum Psychoanalytiker entstehende Kommunikation bietet dadurch eine Chance, den Wiederholungszwang zu durchbrechen, indem die Äußerungen des Unbewussten beim Psychoanalytiker auf Verständnis treffen. Hierdurch wird eine neue Beziehungserfahrung ermöglicht. Die Kommunikationsebene dieser Verständigung umfasst die Prosodie, Mimik und Gestik der sprachlichen Äußerung. Diese Erfahrung ruft bildliche Erinnerungen oder Vorstellungen auf, die vom orbitofrontalen Kortex bis zur Amygdala und dem Hippocampus positiv bewertet werden müssten, damit positive emotionale Erfahrungen im limbischen Gedächtnisspeicher aufgebaut werden können, die parallel zu den negativen Schaltungen die Chance bekommen, für die Handlungssteuerung dominant zu werden (Roth, 2003b, S. 438-441).
     Wenn jedoch die Äußerungen des Unbewussten in Fehlleistungen, Träumen und neurotischen oder psychotischen Symptomen nur rational benannt und durch kognitive Techniken korrigiert und unterdrückt werden, so dass der Einfluss der orbitofrontalen Kontrolle auf die Amygdala im Sinne einer Impulskontrolle verstärkt wird, dann können die Ursachen der psychischen Störungen nur übertüncht werden, und das Ich lernt höchstens, die Kontrolle der negativen Auswirkungen auf das Handeln zu verstärken.« (S. 264/266)

Bilanzierende Bewertung:
Als Psychologe, Arzt, Psychoanalytiker und erfahrener Verfasser von Lehrbüchern ist Wolfram Ehlers bestens als Autor für ein Werk geeignet, bei dem es auf die Integration psychologischer, medizinischer und tiefenpsychologischer Erkenntnisse und deren überzeugende Vermittlung besonders ankommt. Er und die mitwirkenden Autoren haben diese hohen Ansprüche voll erfüllt. Wenn die folgenden fünf Bände dieser Reihe ähnlich überzeugend ausfallen, werden sie das Niveau der psychotherapeutischen Ausbildung - nicht nur der psychoanalytischen - maßgebend steigern.

Kurt Eberhard  (August 2007)

 

Onlinebestellung über unseren Partner

Liste der rezensierten bzw. präsentierten Bücher

 

[AGSP] [Aufgaben / Mitarbeiter] [Aktivitäten] [Veröffentlichungen] [Suchhilfen] [FORUM] [Magazin] [JG 2011 +] [JG 2010] [JG 2009] [JG 2008] [JG 2007] [JG 2006] [JG 2005] [JG 2004] [JG 2003] [JG 2002] [JG 2001] [JG 2000] [Sachgebiete] [Intern] [Buchbestellung] [Kontakte] [Impressum]

[Haftungsausschluss]

[Buchempfehlungen] [zu den Jahrgängen]

Google
  Web www.agsp.de   

 

 

 

 

 

simyo - Einfach mobil telefonieren!

 


 

Google
Web www.agsp.de

 

Anzeigen

 

 

 

 


www.ink-paradies.de  -  Einfach preiswert drucken