FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2003

 

Siri Hustvedt

Was ich liebte

Rowohlt, 2003, (476 Seiten, 22,90 Euro)

 

Hier wird wieder ein Roman statt eines Fachbuches vorgestellt. Grund: er ist sehr anregend für die Reflexion pädagogischen Handelns, gerade auch bei schwierigen Entwicklungen im Zusammenhang gestörten Bindungserlebens.

Siri Hustvedt zeichnet in diesem Roman die Familenbiographien von zwei eng miteinander befreundeten, in zwei Stockwerken einer ehemaligen Fabrik im New Yorker Stadtteil SoHo wohnenden Familien auf - bis in die Eltern- und Großelterngeneration hinein.

Kern der Erzählung sind 25 Jahre Leben, welches der männliche Ich-Erzähler auf 1975 bis 2000 datiert und gegen Ende hin so kommentiert:
„Jede Geschichte, die wir über uns erzählen, kann nur in der Vergangenheit erzählt werden. Sie spult sich von dort, wo wir heute stehen, nach rückwärts ab, und wir sind nicht mehr ihre Akteure, sondern ihre Zuschauer, die sich entschieden haben zu sprechen ......Die Geschichte huscht über die Lücken und füllt sie mit der Hypotaxe eines <und> oder <und dann>. Ich habe es auf diesen Seiten ebenso gemacht, um auf einem Weg zu bleiben, der, wie ich weiß, von flachen Mulden und tiefen Löchern unterbrochen ist.“(S. 471/472)

Mit diesem Zitat wird eine durchgängige Frage des Romans deutlich: was machen Zeichen und Symbole, was macht Wissenschaft, was literarische und darstellende Kunst mit und aus dem gelebten Leben?

Die nicht nur in Literatur, sondern auch in Kunst, Soziologie, Psychologie und Psychoanalyse erfahrene und belesene Autorin läßt ihre Hauptakteure - einen Kunsthistoriker (den Ich-Erzähler) und seine Partnerin, eine Literaturwissenschaftlerin, einen darstellenden Künstler und seine erste Partnerin, eine Literaturschaffende sowie seine zweite Partnerin, eine Soziologin - mit Themen und Theorien jener Wissenschaften und Künste umgehen, wie es dem jeweiligen Arbeitsalltag entspricht. Besonders gründlich wird die Arbeit und werden die Produkte des Künstlers beschrieben und analysiert, was sie mit seinem Leben und der umgebenden Gesellschaft zu tun haben.

Weit gefehlt, wenn das eben Gesagte zu der Vermutung führen würde, es handele sich bei dem Buch von Siri Hustvedt um eine blutleere Kopfgeburt. Die dargestellten Personen sind farbig, lust- und lebensvoll. Ihre Bewegungen, ihre Stimmen, ihr Geruch ist wahrnehmbar, ihre Selbstreflexionen sind anrührend und nachvollziehbar. Die Leserin, der Leser liebt, lacht und leidet mit ihnen und gefährdet den Schlaf der nachfolgenden Nacht.

New York mit Ausschnitten seiner Künstler-, Wissenschaftler- aber auch Drogen- und Transvestitenszene wird lebendig. Die intellektuellen Passagen und Beschreibungen darstellender Kunst wirken wie retardierende Momente, die den Spannungsbogen der gesamten Geschichte zusätzlich aufladen.

Das Buch wird hier besonders nachdrücklich empfohlen, weil die Familienbiographien u.a. über die Entwicklung von je einem Kind in beiden Familien handeln und eines sich sehr problematisch entwickelt.

Der Roman kann auch als Spurensuche der Knoten dieser gestörten Entwicklung gelesen werden. Die Knoten werden aus dem Rückblick deutlicher, als sie es im Moment des gelebten Lebens waren. Die Verflechtungen aus großelterlicher Mitgift, dem Freiheits- und Lebensbedürfnis der Elterngeneration, den Bindungsbedürfnissen des Kindes sowie den Schicksalsschlägen und schicksalhaften Begegnungen werden einfühlsam vor Augen geführt - bis auf den unerklärbaren großen Rest.
„Violet sucht noch immer nach der Krankheit, die in der Luft liegt, dem Zeitgeist, der seinen Opfern zumurmelt: schrei, hungre, iss, töte. Sie sucht nach den raunenden Ideen, die den Menschen durch die Köpfe geistern und dann Narben in der Landschaft hinterlassen. Doch wie diese Seuchen von außen nach innen dringen, ist unklar. Sie bewegen sich in Sprache, in Bildern, in Gefühlen fort und in etwas anderem, das ich nicht benennen kann, etwas zwischen und unter uns.“ (S. 473)

Prof. Dr. Uta Mcdonald-Schlichting (Juli 2003)

 

 

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