An das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Herr Bundesminister Wolfgang Clement Frau Bundesministerin Renate Schmidt
BERLIN
5.3.2005
Betr.: Anrechnung des Pflegegeldes nach dem SGB VIII bei Leistungen nach dem SGB II - Pflegegeld als Einkommen
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Schmidt, sehr geehrter Herr Bundesminister Clement,
dieses Schreiben ist gleichlautend an das BMFSFJ und das BMWA gerichtet.
In einer Stellungnahme vom 26.8.2004 (Referat 511; Az. 511-2213-II) vertrat das BMFSFJ die Rechtsauffassung, dass das von Jugendämtern an Pflegeeltern gezahlte Pflegegeld kein Erwerbseinkommen darstellt und folglich als privilegiertes Einkommen im neuen SGB II zu betrachten ist, also anrechnungsfrei bleibt.
Von der Referentin für Kinder- und Jugendhilferecht im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Frau Gila Schindler, wurden wir nun darauf aufmerksam gemacht, dass durch Einwirkungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit eine neue Rechtsauffassung zur Anrechenbarkeit des Pflegegeldes nach KJHG auf Leistungen nach Hartz IV (AlG II) entwickelt wurde.
Teile des von Jugendämtern gezahlten Pflegegeldes sollen nun als Erwerbseinkommen berücksichtigt werden.
Wir betrachten diese Entwicklung als äußerst bedenklich und fraglich und wenden uns an Sie in großer Sorge um das Pflegekinderwesen mit der Bitte, alles Ihnen Mögliche gegen eine solche Fehlentwicklung zu unternehmen.
Vordergründig geht es um eine kleine Gruppe von schätzungsweise 1000-2000 Familien bundesweit, die durch Arbeitslosigkeit in Not geraten sind. Einige davon wenden sich verzweifelt und hilfesuchend an unsere Organisation. Grundsätzlich wäre diesen einfach und ohne großen bürokratischen Aufwand zu helfen, wenn das BMWA die Stellungnahme des BMFSFJ vom 26.8.2004 vertreten könnte und entsprechende Dienstanweisungen erlassen würden.
Dem ist aber nicht so. Nach der weitern Stellungnahme des BMFSFJ vom 26.01.2005 (Referat 511; Az. 511-2213-IV) ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Aufgabe von Pflegeeltern zukünftig als „eine Art Erwerbstätigkeit“ verstanden werden muss – mit weitreichenden Folgen und Konsequenzen. Alle Pflegeeltern müssten Teile des Pflegegeldes folglich bei den Finanzämtern als Einkommen deklarieren, was dann aus arbeitsrechtlichen Erwägungen ein Anstellungsverhältnis bei den Jugendbehörden zwingend zur Folge hätte – so unser Kenntnisstand. Eine freiberufliche Tätigkeit scheidet jedenfalls schon alleine wegen des zeitlichen Umfangs aus, aber auch wegen der Monopolstellung des vermeintlichen Arbeitgebers.
Ohne weiter darüber nachzudenken, ob ein Stundenlohn von 1 € überhaupt eine redliche Lösung des Problems darstellt (aus rein fiskalischen Aspekten könnten die Pflegeeltern damit vielleicht leben), hätte dies enorme Kostensteigerungen für den kommunalen Leistungsträger zur Folge und sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen.
Besondere Sorge bereitet uns aber folgendes Szenario: Wenn alle Pflegeeltern in ihrem Pflegeelterndasein zukünftig als Erwerbstätige betrachtet werden müssen, wäre das die perfekte und vollkommene Institutionalisierung der Pflegefamilie und eine schonungslose Aufhebung ihrer Privatheit.
Auch beratungstechnisch ergibt sich für uns die Frage, ob wir Pflegefamilien und Jugendbehörden nun darauf aufmerksam machen, dass sie geltendes Finanz- und Arbeitsrecht verletzen, wenn Sie ihre Einnahmen dem Finanzamt und den Sozialversicherungsträgern verschweigen.
Deshalb hoffen wir sehr, dass auf ministerieller Ebene eine Interventionen i.S. der Stellungnahme des BMFSFJ vom 26.8.2004 möglich ist oder eine andere vergleichbare Lösung gefunden werden wird.
Für eine rasche Bearbeitung und Antwort wären wir Ihnen sehr dankbar. Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung und verbleiben
Mit vorzüglichen Grüßen
gez. gez. Henrike Hopp Christoph Malter (BAG-Vorsitzende) (Stellvertreter)
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