FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Nachrichten / Jahrgang 2005

 

Misshandelt und schutzlos

Kinder ohne Hilfe


Jessica, Dennis, Tim - Namen, hinter denen sich schreckliche Schicksale verbergen. Fast jede Woche stehen sie in der Zeitung: Nachrichten von Kindern, die vernachlässigt, verprügelt, grausam gequält werden - in manchen Fällen bis zum Tode. Ohne Hilfe durch die Jugendämter, ohne Unterstützung durch Pflegefamilien, die den Kindern ein neues Zuhause bieten, sind sie ihren Peinigern schutzlos ausgeliefert.

Doch die Mittel für die Jugendhilfe werden deutschlandweit gekürzt, besonders radikal in Berlin: 128 Millionen Euro wurden bereits seit 2002 gestrichen, weitere 33 Millionen Euro sollen folgen, fast die Hälfte des früheren Etats.

Die Folgen für die Jugendämter sind gravierend. Eine Mitarbeiterin, die ihren Namen nicht nennen will, berichtet Frontal21: Unter den Kollegen gebe es bereits Tendenzen zur inneren Kündigung und einen extrem hohen Krankenstand. "Wir sind nur noch mit Formularen und Papieren beschäftigt, haben keine Zeit mehr, in den Problemfamilien auch mal nach dem Rechten zu sehen. Hinzu kommt der enorme Kostendruck", sagt sie. So müsse sie sich permanent rechtfertigen, wenn sie Hilfe gewährt. "In der Konsequenz bedeutet das, dass Hilfe Suchende abgewimmelt werden."

Jaqueline kennt das. Drei Mal war das Mädchen selbst beim Jugendamt, doch niemand half ihr. Da hatte die 16-Jährige bereits eine lange Leidensgeschichte hinter sich: Nach dem Tod ihrer Mutter, da war Jaqueline drei Jahre alt, kümmerte sich der Vater nicht mehr um die Kinder. Tagelang ließ er Jaqueline und ihren Bruder allein in der Wohnung, gab ihnen nichts zu essen, verprügelte sie immer wieder. Irgendwann hielt der Bruder es nicht mehr aus, ging freiwillig in ein Heim. Jaqueline aber landete auf der Straße.

Sie wendete sich an das Jugendamt. Doch das riet dem Mädchen lediglich, sie solle wieder nach Hause, ihr Vater sei für sie zuständig, erzählt Jaqueline. Dabei versichert der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin im Interview mit Frontal21: "Jeder, der Hilfe braucht, bekommt sie. Es gibt keinen Fall der Gefahr von Kindesmisshandlung, wo nicht geholfen wird, keinen einzigen."

Bundesweit wurden im vergangenen Jahr etwa 3000 Kindesmisshandlungen registriert, die Dunkelziffer aber liegt weit höher: bei rund 60.000.

"Man kann in dieser Republik ein Kind bis zum sechsten Lebensjahr, wenn ich es darauf anlege, wegsperren, ohne dass es eine Institution merkt. Erst mit dem Schuleintritt kommt ein Amt und sagt, es muss zur Schule gehen", sagt Michael Havemann vom Landeskriminalamt Berlin, zuständig für "Delikte an Schutzbefohlenen" - übrigens bundesweit das einzige Kommissariat dieser Art. "Diese kleinen Kinder können sich nicht helfen, sie haben keine Chance. Ihnen muss geholfen werden!"

Deshalb fordern Ärzte und Politiker die Einführung von verpflichtenden Vorsorgeuntersuchungen für Kinder bis zum Schulalter. Nach Ansicht von Dr. Ulrich Fegeler vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte ist es allerdings unrealistisch, dies gesetzlich durchsetzen zu wollen. "Die Kopplung entweder an ein Belohnungssystem oder der Gewährung von Sozialleistungen, das ist diskutabel", sagte er im Interview mit Frontal21.

Die kleine Lena hatte Glück: Das kleine Mädchen lebt seit zwei Jahren bei Pflegeeltern, die ihr helfen, die schrecklichen Erlebnisse der ersten 16 Monate ihres Lebens zu vergessen. Lena hatte "schwere körperliche Misshandlungen erlebt", erzählt ihre Pflegemutter Kornelia Vollmers. Als sie die Kleine zum ersten Mal sah, war sie erschrocken: "Lena war sehr still und zurückhaltend und gar nicht, wie ein Kind in dem Alter sonst ist." Sie habe auch keine Mimik gehabt, erzählt Vollmers. "Das war natürlich für das kleine Alter ganz viel für sie, was sie vorher durchgemacht hat."

Gemeinsam mit ihrem Mann will sie weiterhin für Lena sorgen, doch das Jugendamt will das Pflegegeld kürzen, es droht sogar eine Rückführung Lenas zu ihrer leiblichen Mutter. "In dem Moment kostet es erst mal nichts mehr", ärgert sich Kornelia Vollmers. Doch damit nehme das Jugendamt den Kindern die Chance, Wurzeln zu schlagen, meint sie.

Gudrun Eberhard, Gerichtsgutachterin und Leiterin eines therapeutischen Programms für Pflegekinder, kritisiert die Pläne der Jugendämter. Die familiäre Situation der leiblichen Eltern werde nicht ausreichend überprüft: "Das Jugendamt versucht möglicht schnell Besuchskontakte herzustellen, egal was in der Herkunftsfamilie eigentlich passiert, mit dem Ziel, dass man die Kinder doch wieder zu den Herkunftseltern zurückbringen kann." Dabei weiß sie aus langjähriger Erfahrung, dass die Gewaltbereitschaft der Eltern, die zu Tätern wurden, nur selten nachlässt.

Und sie befürchtet: "Die Kinder, die wir heute in ihrer Not alleine lassen, werden in der nächsten Generation das, was man ihnen angetan hat, an ihre Kinder weitergeben." Das kostet den Staat dann wieder Geld, das er heute an der falschen Stelle spart.

ZDF-Sendung Frontal 21
von Daniela Schmidt, 22.11.2005

 

Frontal21 berichtete über misshandelte Kinder, die ihren gewalttätigen Eltern schutzlos ausgeliefert sind. Gerade bei Kleinkindern vor dem schulpflichtigen Alter haben die Behörden kaum Möglichkeiten der Kontrolle.

Der Berliner Jugendsenator Klaus Böger will das ändern. In Zukunft sollten Eltern verpflichtet werden, Kinder bis zu sechs Jahren regelmäßig vom Arzt untersuchen zu lassen (s.a.
Eckpunktepapier der SPD).

 

Manuskript der Sendung zum Download
mit freundlicher Genehmigung des ZDF

 

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