1.
Wenn der Psychotherapeut das Wesen seines Patienten zur Entfaltung bringen will, muß er bereit sein, dessen Wesen auf sich wirken zu lassen, muß die eigene Unabhängigkeit aufgeben, am Leid des Patienten leiden, an seiner Freude sich freuen, ihn also lieben. Die Kunst ist, die Arme zur Liebe zu öffnen, aber nicht zur Umarmung zu schließen. Indem der so geöffnete Psychotherapeut das Wesen des Patienten auf sich wirken läßt, bringt er es zur Entfaltung.
2.
Es gibt Möglichkeiten, Antipathien in Sympathien zu wenden. Ich erreiche das durch das Aufsuchen der Ursachen meiner Lieblosigkeit und den Versuch, ihnen entgegenzuwirken.
Erster Grund meiner Lieblosigkeit: Ich kenne den Menschen nicht. Häufigster Hinter-Grund: Ich wollte ihn nicht zur Kenntnis nehmen. Reaktionsmöglichkeit: Ich lasse mir seine Lebensgeschichte erzählen - sie ist ebenso bewegt wie bewegend und bietet Möglichkeiten der Identifikation.
Zweiter Grund meiner Lieblosigkeit: Er ist mir gleichgültig. Häufigster Hinter-Grund: Ich habe dafür gesorgt, daß er meine Anliegen weder unterstützen noch gefährden kann. Reaktionsmöglichkeit: Ich sorge dafür, daß er für meine Anliegen Bedeutung erlangt.
Dritter Grund meiner Lieblosigkeit: Ich fürchte ihn. Häufigster Hinter-Grund: Ich habe Angst vor seiner Macht, mich zu schädigen oder zu verletzen. Reaktionsmöglichkeit: Ich erinnere mich an die Helden der Gewaltlosigkeit (z.B. Jesus, Gandhi, Martin Luther King, Albert Schweitzer) und daran, daß Schicksalsergebenheit Ängste mindert.
Vierter Grund meiner Lieblosigkeit: Ich hasse ihn. Häufigster Hinter-Grund: Er lebt das aus, was ich in mir unterdrücke. Reaktionsmöglichkeit: Ich begrüße ihn als Chance, die dunklen Felder meiner Seele zu erblicken.
3.
Wollt Ihr die Tiefen Eurer Seele sehen schaut auf die Menschen, die Ihr haßt sie sind die Spiegel der Schatten Eurer Seele
4.
Liebe Deine Feinde, und Du liebst Dich selbst !
5.
Wenn aus dem Keller Deiner Seele Dämonen aufsteigen Dir Angst bereiten Laß sie ein Laß sie tanzen in Deinen Träumen in Deinen Räumen Mach die Fensterläden dicht dann fürchten sich die Nachbarn nicht - Dämonen bei Tisch beleben das Haus Dämonen im Keller zerstören das Haus
6.
Je enger unsere Behausungen, desto geräumiger unsere Luftschlösser.
7.
Phantasien und Träume sind Schauspiele der Seele, haben wie das öffentliche Theater kathartische Wirkung. Filmtheater ist selten Theater, sondern wirrer Widerschein wirrer Wirklichkeiten, hilft nicht zu Phantasien und Träumen, sondern zum nachahmenden Tun - zum Guten wie zum Bösen.
8.
Von innen aufsteigende Bilder, die gefürchtet und abgewehrt werden, nennen wir Psychose oder gar Schizophrenie. Werden sie nicht gefürchtet und nicht abgewehrt, nennt man sie Zweites Gesicht und die Betroffenen hellsichtig.
9.
Beispiele für neurotische Dialektik: Nicht geäußerte Furcht macht ängstlich; verdrängte Angst wendet sich in psychopathische Kaltblütigkeit. Nicht geäußerter Schmerz macht wehleidig; verdrängte Wehleidigkeit wendet sich in erbarmungslose Härte. Nicht geäußerte Trauer macht depressiv; verdrängte Depressivität wendet sich in manische Selbstüberschätzung. Nicht geäußerte Wut macht gehässig; verdrängter Haß wendet sich in zwanghafte Unterwürfigkeit. Nicht geäußertes sexuelles Begehren macht obszön; verdrängte Obszönität wendet sich in hysterische Gefallsucht. Nicht geäußerter Egoismus macht selbstsüchtig; Verdrängte Selbstsucht wendet sich in grenzenlose Hingabe. Nicht geäußerter Neid macht mißgünstig; verdrängte Mißgunst wendet sich in verschwenderisches Verschenken. Nicht geäußerte Scham macht verschämt; verdrängte Verschämtheit wendet sich in unverschämte Selbstgefälligkeit.
10.
Eine dreigliedrige Ursachenkette ist der Übergang vom Naturgesetz zur Erzählung vom Geschehnis zur Geschichte von der Natur- zur Geisteswissenschaft
11.
Die Sehnsucht nach Heimat wächst in der Fremde. Wer nie ganz außer sich war, wird nie ganz bei sich sein.
12.
Furcht vor Entrücktheit nährt die Verrücktheit
13.
Der Schritt vom Überwachsein zum Überwachtsein ist so kurz wie vom Ahnsinn zum Wahnsinn.
14.
Oft ist Redefluß umgelenkter Tränenfluß, erkennbar an den feuchten Augen einfühlsamer Zuhörer.
15.
Wenn die Verbitterung sich lösen soll, wenn die ungeweinten Tränen endlich fließen sollen, mußt Du so lange weinen, bis sie nicht mehr bitter schmecken.
16.
Soll eine Geige göttliche Musik hervorbringen, muß ihr Körper schwingen !
17.
Für Paare im Streit: Droht Euch das nächste Krisental und Mißmut macht sich breit dann wisset: er ist ganz normal der immer neue Streit denn wer sich Eigensinn bewahrt und in die Zukunft blickt nichtsdestotrotz sich gerne paart der lebt im Zielkonflikt
18.
Die Klage ’Du verstehst mich nicht!’ ist entweder falsch und ungerecht oder richtig und unverstanden, also fruchtlos.
19.
Leiden, das ich meiden möchte nimmt sich schmerzhaft seine Rechte Leiden, das ich weiß und will hält Angst und Schmerz erträglich still
20.
Ihr Liebenden hört auf zu schmollen wer lieben will muß leiden wollen
21.
Ein Mensch hängt einem anderen in dem Maße an, in dem dieser in der Lage ist, ihm die eigenen unbewußten Bedürfnisse zu befriedigen. Anderseits bekämpft er ihn immer wieder mit derselben Energie, die er zur Unterdrückung seiner unbewußten Bedürfnisse aufwendet.
22.
Der sicherste Weg, nie ein harmonisches Duett zu erleben, ist dessen Abbruch wegen schmerzlicher Dissonanzen.
23.
Das Ansinnen, aus bilanzierender Vernunft das strapaziöse Liebesleben zu verlassen, gleicht dem Versuch, den Strudeln eines Flusses zum Land hin zu entkommen. Hin- und hergerissen zwischen Freiheits- und Liebesstreben, versinken viele im Morast der Ufersümpfe; andere kommen durch in die Freiheit gleich bis in die Einsamkeit der Wüste. Nur wenige halten sich in der Mitte des Lebensstroms, um einzumünden in das weite Weltmeer, in dem All-Einheit und All-Freiheit gleichzeitig gelebt werden können.
24.
Weibliche Liebe bindet sich eher an Verbrecher als an Versager, sie ist möglich gegen alle Vernunft, aber unmöglich gegen Verachtung. Deshalb rettet aus unglücklichen Verbindungen nicht die Kündigung der Liebe, sondern die Klarstellung der Liebesansprüche: versagt er daran, verliert sie die Achtung und mithin die Liebe.
25.
Gedanken, die nicht zur Lösung führen, sorgen für Bindung; viele Paare vermeiden deshalb die Lösung ihrer Probleme.
26.
Liebe ist eine merkwürdige Batterie - sie lädt sich durch Entladung auf !
27.
Die meisten Ausgebrannten haben nie gebrannt, und die Feurigen brennen erst aus, wenn die Asche der anderen schon verweht ist.
28.
Wenn es typisch menschlich ist, zu früh geboren zu werden mit lückenhaften Instinkten, nicht laufen, kriechen und sprechen zu können, den Anforderungen des gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens lange gar nicht und später nur unvollkommen gewachsen zu sein, wenn also die Behinderungen das spezifisch Menschliche sind, dann sind die Behinderten die menschlichsten Menschen, und wir brauchen sie dringend auf unserem gemeinsamen Weg zur Menschlichkeit.
29.
Der ungeborgene Mensch ist nicht das Anwendungsfeld höherer Liebe, sondern deren häufigste Ursache.
30.
‘Der Glaube kann Berge versetzen’ Der gläubigste Glaube ist das Vertrauen des Säuglings auf seine Mutter; die wichtigsten Berge sind deren Brüste - was könnte sie zuverlässiger in Bewegung setzen als die Wunschmagie des Kindes?!
31.
Wenn Eltern ihre Kinder mehr lieben als erziehen, wird ihnen ‘Verwöhnung’ vorgeworfen, Wenn sie Verwöhnung aus Liebe vermeiden, lautet der Vorwurf: ‘Verzärtelung’. Das Tribunal schweigt erst, wenn die Autonomie mehr trainiert wird als die Bindung.
32.
‘Schau die Vögel am Himmel, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nichts in die Scheunen, aber der himmlische Vater ernährt sie doch’ (aus der Bergpredigt) Und wenn Du auch kein Vogel bist und Du an morgen denkst und unsre Stadt kein Himmel ist und Du Dein Leben lenkst kannst Du doch Augenblicke suchen die frei von Sorge sind Du kannst das Liebesglück versuchen auch Du bist noch ein Kind Wenn Du es schaffst, ein Kind zu bleiben bereit, Sekunden zu genießen wird Gott Dich schützend einverleiben und Liebe in Dir sprießen
33.
Erwachsen wird man nur durch Wachsen drum werdet, wie die Kinder werden !
34.
Wenn wir unsere Kinder wahrnehmen und ihnen Gewahrsam schenken, werden sie genügend Vertrauen entwickeln, sich dem Wesen der Welt zu öffnen - Wahrung ist der Boden der Wahrheit.
35.
Die tückischste Form der Frembestimmung sind die eigenen Ziel-Vorstellungen; sie stammen nicht aus dem eigenen Selbst, sondern aus den Vor- und Verführungen dazu bestellter Darsteller, - sogenannter Er-Zieher - und haben wie diese gewaltförmige Macht.
36.
Das angestrengte Streben nach Selbstverwirklichung kann das ICH aufblähen, aber wohl kaum das SELBST verwirklichen.
37.
Mildes Licht auf offene Fenster schenkt Einblick in das Haus. Grelles Licht auf geschlossene Fenster schafft Überblick über das Haus, nötigt aber seine Bewohner, nun auch die Vorhänge zu schließen. So zeigt sich das Mißverhältnis von einleuchtender Klärung und beleuchtender Aufklärung: aufklärender Überblick braucht starke Scheinwerfer, klärender Einblick geöffnete Fenster.
38.
Das Resultat des Verstehens ist, daß ich woanders stehe, nämlich dem Menschen näher, den ich verstehen will, bis ich schließlich meinen Standort in ihm finde und mir seine Handlungen so einleuchtend erscheinen wie die eigenen.
39.
Einfühlen ist das aus eigener Vorerfahrung erschlossene Nachvollziehen der Gefühle eines anderen; Mitfühlen ist deren unmittelbares Mitvollziehen aus eigener Betroffenheit.
Einfühlen bietet Verstehen, kann aber zu mißbräuchlicher Machtausübung genutzt werden; Mitfühlen schenkt Verständnisinnigkeit, kann aber in gemeinsame Hilflosigkeit münden.
Einfühlen setzt Erfahrung mit eigenen Gefühlen und sinnliches Erkennen fremder Gefühle voraus; Mitfühlen geschieht vor aller Sinneserfahrung in der All-Einheit des Mutterleibes.
Einfühlung haben wir nur in dem Maße gelernt, in dem wir Gelegenheit hatten, unser inneres Befinden zu spüren; Mitfühlung haben wir alle erlebt, und doch ist sie viel seltener, weil sie in lieblosen Familien und kranken Gesellschaften das eigene Leben bedroht.
Einfühlung kann man erlernen oder verlernen; Mitfühlung kann man erinnern oder verdrängen.
40.
Die intimste Form des Verstehens ist die Verständnisinnigkeit, die aus Liebe wächst - so erkannte Adam sein Weib.
41.
Wenn Du Dich erkennen willst, solltest Du nicht zuerst nach innen blicken, sondern in den Spiegel. Die besten Rückspiegel sind andere Menschen, besonders wenn sie Dich lieben; gute Freunde können die Wahrheit wagen und Du sie offener annehmen.
42.
Wenn die zu Charaktereigenschaften sich auswachsenden Bewältigungsstrategien der Kindheit rückblickend durchschaut werden, verfestigen sie sich entweder zu Mosaiksteinen eines paßgerechten Selbstbildes oder verflüssigen sich wie lösliche Kristalle in einem fließenden Strom. Das hängt ganz davon ab, wie fest oder flüssig das Selbstbild ist. Je früher die selbstreflexive Rückschau beginnt, desto geringer die Gefahr ihrer chronifizierenden Charakterbestätigung.
43.
Wer den bindenden Konstruktionskräften der Seele (d.h. dem 'Lebenstrieb') folgt, erlebt die Lust der Liebe, wer den lösenden Destruktionskräften der Seele (d.h. dem 'Todestrieb') folgt, gewinnt die Lust der Freiheit. Liebe und Freiheit bekämpfen einander in fruchtbarem Widerspruch; die totale Liebe liegt hinter uns (Mutter-Kind-Symbiose), die totale Freiheit liegt vor uns (Auflösung des Leibes im Tod), die Sehnsucht nach Synthese ist die Sehnsucht nach der 'unio mystica' im zeitlosen Nirwana.
44.
Lebe ich gegen die Heilsgeschichte, stößt sie mir schmerzhaft zu, lebe ich mit ihr, fällt sie mir heilsam zu - in hilfreichen Zufällen, Zeichen und Wundern.
45.
In liebevoller Gemeinschaft steigert sich hoffende Sehnsucht zu vertrauensvoller Zuversicht, durch Liebe also wächst Hoffnung zum Glauben !
46.
Von der Unfähigkeit zu trösten: Der Versuch, dem Hoffnungslosen Hoffnung einzureden, macht aus Dir einen hilflosen Helfer und bestätigt die Verzweiflung des Anderen.
47.
Wir sind kaum dafür verantwortlich, so geworden zu sein, aber sehr dafür verantwortlich, so geblieben zu sein.
48.
Das letzte Glied in der Ursachenkette meines Leides bin ich selbst und somit auch das erste Glied in der Ursachenkette seiner Überwindung.
49.
‘Humor ist, wenn man trotzdem lacht!’ - daß man anders reagieren kann, als die Situation es nahelegt, ist das Wunder der menschlichen Psyche und ein Grund ihrer tollkühnen Zuversicht.
50.
Dankbare Gedanken erzeugen dankbare Gefühle. Jeder, der denken kann, findet Gründe für Dankbarkeit und somit einen der kürzesten Wege aus depressiver Verstimmung, mindestens bis in die Wehmut.
51.
Das Es ist die Unterschicht der Seele - wie die Legislative im Staat. Das Über-Ich ist die Oberschicht der Seele - wie die Judikative im Staat. Das Ich ist die Mittelschicht der Seele - wie die Exekutive im Staat. Genau wie dort empfiehlt sich die Teilung der Gewalten und ihre gegenseitige Achtung.
52.
‘Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem Andren zu’ Dieser kategorische Imperativ ist ebenso logisch wie weltfremd, denn denen, die ihn am wenigsten beachten, wird am wenigsten angetan.
53.
Der Bundesgerichtshof definiert: ‘Mit dem Unwerturteil Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Rechte hätte entscheiden können. der innere Grund des Schuldvorwurfs liegt darin, daß der Mensch auf freie verantwortliche Selbstbestimmung angelegt, deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden und das rechtlich Verbotene zu vermeiden.’ Der strafrechtliche Schuldvorwurf unterstellt also Willensfreiheit. Willensfreiheit kann man glauben, nicht beweisen. Der Staatsanwalt ist aber beweispflichtig - In dubio pro reo ! Also müßte jeder Angeklagte freigesprochen werden. Kinder und Geisteskranke werden auch nicht verurteilt, sondern erzogen bzw. therapiert. Nur wenn keine wirksame Erziehungs- bzw. Therapieform gefunden werden kann, hindert man sie durch Freiheitsbeschränkungen an weiteren Delikten. Eine gesellschaftliche Ordnung ohne Schuldvorwürfe und Strafen, mit behutsameren Eingriffen in die Freiheit der Einzelnen, mit mehr Schutz für die Allgemeinheit ist also möglich !
54.
Das Bekenntnis "Ich bin schuldig" wird mit gesenktem Haupt, das Bekenntnis "Ich bin verantwortlich" mit erhobenem Haupt gesprochen. Schuldgefühle sind erniedrigend, Verantwortungsgefühle sind erhebend.
55.
Im Zivilrecht gibt es statt Straftaten Unerlaubte Handlungen. Die zivilrechtliche Folge ist nicht die Bestrafung, sondern der Schadensersatz. Verschulden ist im Bürgerlichen Gesetzbuch ‘die Verantwortlichkeit des zu einer Leistung Verpflichteten sowie das Eintretenmüssen für Leistungsstörungen’. Das BGB kennt sogar die Haftung ohne Verschulden, z.B. die Verantwortung für unverschuldete Mängel einer verkauften Sache. Der Verzicht auf Schuldvorwürfe und Bestrafungen führt also nicht zur Aufweichung von Verantwortlichkeiten !
56.
Wer nicht durch Schuldvorwürfe zur Verleugnung seiner Handlungen gedrängt und nicht durch Bestrafungen entwürdigt wird, hat es leichter, die Verantwortung für die Folgen seines Tuns zu übernehmen.
57.
‘Die Würde des Menschen ist unantastbar’ Die Unwahrheit dieses Satzes ist der wichtigste Grund unseres Grundgesetzes.
58.
Wer nur verspricht, was er halten kann, ist glaubwürdig. Wer weniger verspricht, als er halten kann, ist bescheiden. Wer mehr verspricht, als er halten kann, ist heute ein Versager, aber vielleicht schon morgen über sich selbst hinaus.
59.
Grund und Boden der Ehe zwischen Bauer und Bäuerin ist der gemeinsame Hof. Grund und Boden der Ehe zwischen Bürger und Bürgerin ist die gemeinsame Aufgabe. Liebe, gemeinsame Interessen, gemeinsamer Konsum und gemeinsame Lust genügen nicht.
60.
‘Gegensätze ziehen sich an!’ - so findet man zur leidenschaftlichen Liebe. ‘Gleich und Gleich gesellt sich gern!’ - so findet man zur harmonischen Ehe.
61.
Du kannst mich einfach nicht verstehen doch wenn Du ganz darauf verzichtest Dein Bild von mir in Dir vernichtest dann wirst Du mich schon klarer sehen
62.
Wenn Liebe und Denken sich vermählen, statt sich zu streiten, zeugen sie Barmherzigkeit
63.
Wer nicht lernt, Menschen zu lieben und wer nicht aufhört, Menschen zu lieben, wird nie die Menschheit lieben.
64.
Mancher, dem es an Zugehörigkeit mangelt, besteht so sehr darauf, ihm müsse zugehört werden, daß ihm die Zugehörigkeit um so mehr verweigert wird.
65.
‘Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!’ Das Gespräch löst viele Konflikte, das Schweigen erübrigt sie (jedenfalls die durch Gespräche erzeugten). Darüber hinaus fördert das Schweigen die Beachtung der Körpersprache, die unsere inneren Bedürfnisse deutlicher ausdrückt, als das die intellektuell gesteuerte Wortsprache je könnte. Körpersprache setzt ihre Empfänger auch weniger unter Entscheidungssdruck. Es sei denn, sie ist durch das wissenschaftliche Gerede über ‘nonverbale Kommunikation' bereits ‘perfekt transcodiert’.
66.
In der Physik gilt: Arbeit = Kraft mal Weg ! Auch die menschliche Arbeit ist eine Kraftentfaltung, die etwas in Bewegung bringt: körperliche Arbeit verändert Körperliches, geistige Arbeit verändert Geistiges. Der Gegenstand der Veränderung kann auch der eigene Körper und eigene Geist sein. Nur derjenige Teil der bewegenden Kraftentfaltung des Menschen wird Arbeit genannt, der nicht nur auf die unmittelbare Befriedigung abzielt, die sich aus der Betätigung selbst ergibt, sondern die mittelbare Befriedigung anderer Lebensbedürfnisse bezweckt. In der Physik gilt: Leistung = Arbeit pro Zeit ! Auch die menschliche Leistung ist Arbeit pro Zeit. Arbeitsbereitschaft, d.h. die Bereitschaft, Arbeitsziele anzustreben, gehört zur Natur des Menschen. Leistungsbereitschaft, d.h. die Bereitschaft, Arbeitsziele möglichst schnell zu erreichen, wird ihm anerzogen. Leistungsstörungen gefährden den individuellen Stellenwert in Leistungsgesellschaften. Arbeitsstörungen gefährden den individuellen Stellenwert in allen Gesellschaften. Arbeitsstörungen sind Entwicklungsstörungen und fallen in den Aufgabenbereich des Therapeuten. Leistungsstörungen sind Anpassungsstörungen und fallen in den Aufgabenbereich des Pädagogen.
67.
Soziale Arbeit soll qualifizierte Dienstleistung sein. Leistung ist Arbeit pro Zeit, Dienen erfordert Zeit für Arbeit - wie soll die Verquickung beider zu Qualität führen ?
68.
Lieben und Arbeiten gelten als maßgebende Lebensinhalte des gesunden Menschen. Das wichtigste daran ist das ‘und’: am glücklichsten sind Menschen, die ihre Arbeit lieben und an ihrer Liebe arbeiten.
69.
Von der Reiz-Suche zur Zeichen-Suche, zur Bedeutungs-Suche, zur Bedeutsamkeits-Suche, zur Sinn-Suche !
Auf Reizsuche ist schon die Amöbe, auf Sinnsuche wohl nur der Mensch.
70.
Wenn die Grundbedürfnisse eines Tieres befriedigt sind, dann ist es zufrieden. Wenn die Grundbedürfnisse eines Menschen befriedigt sind, dann kommt ein anderes Bedürfnis auf: Der Hunger nach Sinn. Wird der Sinnhunger nicht gestillt, drohen Gefühle der Sinnlosigkeit, des Bedeutungsverlustes und der Absurdität.
71.
Was ist der Sinn des Lebens? Biologen haben es leichter als Theologen oder Philosophen, diese Frage zu beantworten: Der Lebensprozeß schafft immer komplexere Organismen, sinnvoll ist jedes Element, das in diesem Prozeß konstruktiv mitwirkt. Der Sinn des menschlichen Lebens ist aus dieser Sicht, die eigene Entwicklung zu höherer Komplexität zu fördern, sich mit anderen Menschen zu höherer Komplexität zu verbinden und damit den chaotischen Zerfallstendenzen entgegenzuwirken, die unserem Kosmos im Entropiegesetz vorhergesagt werden.
72.
Der Sinn des Sterbens und Tötens in der Natur ist die Auflösung komplexer Strukturen zugunsten noch komplexerer. Sterben und Töten sind sinnlos, wenn sie höhere Entwicklungen mehr hindern als fördern - z.B. jeder Atomkrieg, aber nicht jeder Bürgerkrieg.
73.
Das Zusammenwirken von Pflanzen und Tieren, die stimmige Kooperation der Musiker eines Orchesters, die mathematischen Gleichungen der Physik, sie alle werden von denen, die etwas davon verstehen, als schön erlebt. Sollte ein Gott die Welt geschaffen haben, so wäre sie sein Kunstwerk; ohne Gott wäre sie ein sich selbst vollendendes Kunstschaffen - so oder so nur aus ästhetischem Vermögen zu verstehen.
74.
Das Schöne, das Wahre und das Gute: ‘Wer die Schönheit sucht, wird die Wahrheit finden’ - erst die schönen Wahrheiten und im Kontrast dazu auch die häßlichen. Das Schöne ist die Lust am gelingenden Zusammenspiel des Lebendigen, das Häßliche die Unlust an dessen Störungen. Deshalb ist die Fähigkeit, das Schöne vom Häßlichen zu unterscheiden, die Frucht vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Ästhetik vermittelt also gleichzeitig die Diagnose des Krankhaften und das Ziel seiner Therapie. In einer universalen Schau erweist sich allerdings das Häßliche als notwendige Dissonanz in der Schönheit des kosmischen Konzerts.
75.
Krebs ist häufig der unbewußte Protest der chaotisch-destruktiven Strebungen gegen eine auf Ordnung, Konfliktscheu und Risikovermeidung gerichtete Lebensform.
76.
Nichts hilft besser gegen Vereinsamung als Zeiten der Einsamkeit, weil sie Bedürfnisse nach Rückzug befriedigen, die unbefriedigt sich zu asozialem Verhalten verdichten. Auch wird die Rückkehr aus der Einsamkeit von den Daheimgebliebenen freudiger begrüßt als der Verzicht auf den Abschied.
77.
Wenn ein Kind lernhungrig ist, aber aufbegehrt gegen die normierende Zucht des Lesens und Schreibens, ist es gut beraten, mit Legasthenie zu reagieren.
78.
Über unsere Klienten: Viele Gäste unserer Vogelhäuschen haben ganz ähnlich verkümmerte Flügel wie ihre Eltern und Großeltern, aber die Winde um sie herum sind unberechenbarer, und die Wälder, in denen sie Unterschlupf suchen, sind unwirtlicher geworden.
79.
Wohin mit der Aggressivität? Sachbeschädigende, körperverletzende und beleidigende Aggressivität entlastet, wird aber bestraft. Sportliche Aggressivität wird nicht bestraft, richtet sich aber nicht auf die Ursachen der Aggressivität. Demgegenüber steht geistige Aggressivität unter dem Schutz der Meinungsfreiheit und kann auf die Ursachen der Aggressivität gerichtet werden. Sachbeschädigende, körperverletzende, beleidigende und sportliche Aggressivität läßt sich allerdings leichter erlernen als geistige.
80.
Die sozialste Form menschlicher Aggressivität ist der Kampf gegen übermächtige Ideologien. Übermächtige Ideologien lassen sich weder mit Keulen noch mit Maschinengewehren, sondern nur mit dem Skalpell des analytischen Denkens bekämpfen.
81.
Ist der Hunger nach ganzheitlicher Erfassung zu groß, wird man zwar den Wald sehen, aber nicht die Wechselwirkungen seiner Pflanzen und Tiere. Dazu bedarf es der Destruktivität des ur-teilenden Scharfsinns. Deshalb mißlingt eine systemische Betrachtung der Familie ohne vorangehende Analyse ihrer Individuen. Individuen sind ihrerseits widerspruchsvolle Systeme, mehr Determinanten als Determinate, weil sie vor Eintritt in die Familie bereits programmiert und weniger auflöslich sind als diese.
82.
Wer sein Denken nicht schärft, bleibt stumpf.
83.
Wer nicht verlieren kann, wird auch nicht kämpfen.
85.
Der mächtigste Feind des Denkens ist das Wissen.
86.
‘Aus Liebe zum Leben vom Leben zur Liebe’
‘Aus A zu B von B zu A’
- Aus der Ähnlichkeit der Einsichten erkennst Du die Macht der Verhältnis-Wörter
87.
‘Eifersucht ist jene Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.’ Wenn ein Liebender den geliebten Menschen in den Armen eines anderen sieht und nicht fähig ist, zu trauern oder zu kämpfen oder zu sterben, gerät er in eine besonders tückische Form der Destruktivität: in Eifersucht, die wie jedwede Sucht nach immer neuen Anreizen ihrer selbst sucht und nie zur Befriedigung gelangt, weil sie das Vertrauen zerstört, das sie ersehnt.
88.
Die Angst vor Verlust, die Wut gegen den Rivalen, der Anspruch auf ungestörte Zweisamkeit, der Wunsch nach Besitz und Unersetzlichkeit, - sie alle verbinden sich oft mit der Eifersucht, sind wie diese lästig nach innen und außen, aber sie sind keine Sucht.
88.
‘Sucht’ kommt nicht von ‘Suchen’, sondern von ‘Siechtum’ und ist wie dieses auf den Tod gerichtet. Die reinste Form der Sucht ist die Todessehnsucht.
89.
Wer die Liebe kennt, doch nicht bekommt, gerät leicht in den Sog der Sucht.
90.
Der Weg aus dem Sumpf des Alkohols in die Trockenheit der Abstinenz führt in die Wüste. Viele finden dort die Sandhügel der trockenen Ironie, wenige die Oasen des feuchtfröhlichen Humors.
91.
Wenn in der Stadt die Alarmsirenen heulen und niemand hört darauf verbrennt die Stadt Wenn in der Stadt die Alarmsirenen heulen und alle fliehen verbrennt sie ebenfalls Wenn in Deiner Seele die Alarmsirene schrillt höre sie aber gehorche ihr nicht Suche den Brandherd statt zu entfliehen Leite das Feuer in Deinen Herd statt es zu löschen Dann schenkt es Dir Wärme und Kraft
92.
Wer die Gefahren des Meeres scheut, wird kein anderes Ufer erreichen, als das, an dem er geboren wurde.
93.
Will die Furcht Dich ängstlich machen, erforsche gründlich die Gefahren, Forschen macht forsch, bewahrt Dich vor Klein- und Übermut.
94.
Je wilder der Wildbach, desto schneller gräbt er sich ein lenkendes Flußbett.
95.
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