FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2005

 

Stellungnahme
der Pflegeelternschule Baden Württemberg e.V.
zu § 86.6 SGB VIII

Prof. August Huber/ Paula Zwernemann

 

Die Zuständigkeitsordnung des SGB VIII knüpft an den Grundgedanken des Gesetzes an, die elterliche Erziehung zu unterstützen und zu ergänzen. In den Stellungnahmen der Bundesministerin Frau R. Schmidt betont sie, dass dies auch für die Formen der Hilfe zur Erziehung gilt, bei denen das Kind außerhalb des Elternhauses im Heim oder in einer Pflegestelle lebt. Das Ziel sei es, die Eltern zu befähigen, das Kind möglichst wieder eigenverantwortlich zu erziehen.

In § 37 SGB VIII steht: Ist eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb dieses Zeitraums nicht erreichbar, so soll mit den beteiligten Personen eine andere, dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen förderliche und auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden.

Der Gesetzgeber möchte in diesen Fällen eine Beheimatung der Kinder. Die in § 37 SGB VIII geforderte Klärung der Lebensperspektive des Kindes ist Grundlage für die Kontinuität in der Erziehung. Das Offenlassen der Lebensperspektive des Kindes entspricht nicht dem Grundgedanken des SGB VIII und ist nicht an dem Kindeswohl orientiert. Insbesondere sind der kindliche Zeitbegriff zu beachten und die Bindungen des Kindes zu berücksichtigen, denen in §1632 Abs. 4 BGB und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung besondere Bedeutung  zuerkannt wird.

Der  Zuständigkeitswechsel nach zwei Jahren gem. § 86.6 SGBVIII ist an dieser Klärung der Lebensperspektive des Kindes orientiert.

Kinder, die in Vollzeitpflege leben und die nicht innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Unterbringung zu den Eltern zurück können, sind in der Regel schwer traumatisiert . Die Hilfe kann hier nur darin bestehen, die Kinder in der Pflegefamilie zu beheimaten. Bei mehr als 50 % der Kinder, die in Vollzeitpflege leben, musste den Eltern gemäß  §1666 das Sorgerecht ganz oder teilweise entzogen werden . Das zeigt, dass die Grundbedürfnisse dieser Kinder von den Eltern in gravierendem Ausmaß nicht befriedigt werden konnten. In diesen Zahlen sind die Kinder, bei denen das Sorgerecht gem. § 1630 Abs. 3 BGB auf die Pflegeeltern übertragen worden ist,  noch nicht berücksichtigt (siehe 3. Jahrbuch des Pflegekinderwesens, S. 241 ff.).

Weshalb die Forderung nach der ersatzlosen Streichung des § 86.6 SGB VIII?

Sie beruht nach unserer Einschätzung auf
1. Den Vorteilen für einige Großstadtjugendämter und der umliegenden Gemeinden.
Diese  Jugendämter bringen meist in den umliegenden Landkreisen einen  Teil der Pflegekinder unter. Nach veröffentlichten statistischen Daten sind dies teilweise bei einigen Großstädten  bis zu 50 % der untergebrachten Kinder.

2. Den Wünschen der Interessenvertreter der Erziehungsstellen, die die Kinder über § 33  SGB VIII aufgenommen haben.

3. Der Annahme, dass der Lebensmittelpunkt der Pflegekinder immer die Herkunftsfamilie ist.  Die in § 37 SGB VIII geforderte Klärung der Lebensperspektive des Kindes und damit der Kontinuität in der Erziehung des Kindes wird übersehen.

4. Der Annahme, dass nach 2 Jahren in der Regel die Zuständigkeit wechselt, was jedoch in der Praxis die Ausnahme und nicht die Regel ist.

Lösungsvorschläge
Zu 1. Den aufnehmenden Landkreisen wird neben der jetzt schon gültigen Kostenerstattung für das Pflegegeld für die Personal- und Sachkosten eine Fallpauschale zugestanden. Im Vorfeld arbeitet das aufnehmende und das vermittelnde Jugendamt eng zusammen, was bei gut funktionierenden Pflegekinderdiensten schon bei der bestehenden Gesetzeslage eine Selbstverständlichkeit ist.

Zu 2. Erziehungsstellen haben die  Möglichkeit, die Hilfe zur Erziehung über § 34 SGB VIII zu organisieren. Dies ist  bereits die Regel, weil diese Hilfeform meist einem Heim oder einem Verein angegliedert ist und wesentliche Merkmale der Vollzeitpflege fehlen.

Zu 3. Die reale Situation von Pflegekindern, die zu der Pflegefamilie enge Bindungen eingegangen sind und dort beheimatet sind, widerlegt diese Annahme.

Auch die Bestimmungen des § 37 SGB VIII, die die Klärung der Lebensperspektive des Kindes fordern, belegen, dass das Gesetz den Lebensmittelpunkt in der Pflegefamilie vorsieht, wenn die Rückkehr in einem dem kindlichen Zeitempfinden gemäßen Rahmen in die Herkunftsfamilie nicht realisiert werden kann.

Zu 4. Bei Jugendämtern in kleinen und mittleren Städten sowie in Landkreisen ist es die große Ausnahme, dass Kinder außerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches untergebracht werden. Der Zuständigkeitswechsel erfolgt dort in den ersten zwei Jahren häufig durch den Umzug der Eltern. Dieser Zustand des häufigen Zuständigkeitswechsels durch die Umzüge der Eltern würde bei der ersatzlosen Streichung des § 86.6 SGB VIII nicht nur in den ersten zwei Jahren, sondern auf Dauer die Pflegefamilien belasten (siehe: Zwernemann: In Paten, Heft 03/04 S. 30 ff)

Fazit:
Die jetzt bestehende Zuständigkeitsregel ist- gemessen an den Nachteilen einer ersatzlosen Streichung des § 86.6 SGB VIII - die sinnvollste Lösung. Bei einer guten Zusammenarbeit des vermittelnden Jugendamtes und des Jugendamtes, in dessen Bezirk die Pflegefamilie wohnt und bei Gewährung eines Ausgleiches für Personal- und Sachkosten für die Betreuung der Pflegefamilie dürfte dies die am wenigsten schädliche Alternative sein. Dies sehen wir auch vor dem Hintergrund der Garantenpflicht des Staates gegenüber den Kindern. Das BGH Urteil vom 21. Oktober 2004 – III ZR 254/03 spricht hier auch eine deutliche Sprache: nämlich von der Aufsichtspflicht des örtlichen Jugendamtes. Dieses Urteil zeigt auch den Weg, dass es nicht angeht, die Lebensperspektive des Kindes nach zwei Jahren ungeklärt zu lassen ,um damit die Übernahme des Falles zu verhindern.
 

Die schlechteste Lösung ist die Koppelung der Zuständigkeit an den Wohnsitz der Herkunftsfamilie. Sie schafft eine Vielzahl neuer Probleme und kann keine bestehenden Probleme lösen.
05.03.2005


s.a.

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